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Takis Würger: Was sich verkauft, muss nicht gut sein

Vergangene Woche ist im Börsenblatt, dem Wochenmagazin des deutschen Buchhandels, ein durchaus bemerkenswertes Dokument erschienen. Es handelt sich um einen Brief, unterzeichnet von Buchhändlern und Buchhändlerinnen, die darin den Autor Takis Würger und seinen Roman Stella gegen dessen Kritiker verteidigen: “Wir (…) werden den Roman Stella weiterhin anbieten, empfehlen, Lesungen veranstalten und mit Leserinnen und Lesern darüber im Gespräch bleiben”, heißt es fett gedruckt am Ende des Statements.

Wenn man die Debatte über das Buch, die seit Januar sämtliche Kulturteile der Republik beschäftigt, bloß lässlich verfolgt hat, könnte man angesichts des kämpferischen Pathos dieser Solidaritätsbekundung glauben, Stella sei per Eildekret verboten und sein Autor aus dem Land gejagt worden. Dabei ist Takis Würger noch immer auf großer Lesereise und erfreut sich, wie man aus Lokalzeitungen erfährt, am Zuspruch des Publikums. Sein Roman liegt gegenwärtig auf Platz acht der Spiegel-Bestsellerliste.

Gerade der von den negativen Kritiken unberührte Erfolg des Buchs scheint ein Grund zu sein, weshalb dieser Brief nun veröffentlicht wurde. Eingeleitet wird er mit dem Satz: “Literaturkritik und Feuilletons urteilen bisweilen weit entfernt von der Meinung der Leserschaft und der BuchhändlerInnen, das ist nichts Neues.”

Auf den ersten Blick ist dies natürlich ein Gemeinplatz. Dass es Bücher gibt, die bei der Kritik durchfallen und sich dennoch gut verkaufen (und umgekehrt), ist eine ewige Dissonanz, mit der alle Seiten bisher ganz gut leben konnten. Neu ist der resignierte, anklagende Ton des Ressentiments, der sich von diesem ersten Satz an durch den gesamten Brief der Buchhändler zieht. Nach der Lektüre hat man den Eindruck, es verlaufe ein skandalöser Graben zwischen “weit entfernten” Urteilen des Feuilletons, das grundlose Debatten führe und damit die Freiheit der Literatur gängele, und den irgendwie bodenständigen Buchkäufern und -händlern, die doch mit dem Herzen gut läsen und daher immer richtig lägen. Es war Lothar Müller, Literaturredakteur der Süddeutschen Zeitung, der bereits in den ersten Tagen des Rummels um Stella einen “leisen Hauch” des Misstrauens gegen “Eliten und Institutionen” spürte, der ihm aus der politischen Arena bekannt vorkomme.

Zwar mag es zunächst verständlich sein, dass Buchhändlerinnen einen Autor verteidigen, der ihnen offenbar gute Umsätze beschert. Allerdings ist der Kauf eines Buchs noch kein Urteil über dessen Qualität. Wer dies denkt, erhebt den kommerziellen Erfolg zum letztgültigen Maßstab: Was sich gut verkauft, kann doch nicht schlecht sein. Literaturkritik, die nicht bereit ist, sich der Einfalt dieser Annahme zu unterwerfen und auch nicht der opportunistischen Verblödungsbereitschaft, die dieser Annahme wohl zugrunde liegt, hat jetzt schlechte Karten. In dieser Konstellation ist sie immerzu im Unrecht und wird wie ein feudaler Restbestand behandelt, als Störenfried des reinen, unschuldigen Leseglücks, das von Überlegungen zu Ästhetik, Form und Stil bitte verschont bleiben möchte.

Glücklicherweise muss sich die Triftigkeit der Literaturkritik nicht an Verkaufszahlen messen lassen, sondern an ihren Argumenten. Doch mit denen wollen sich die Buchhändler in ihrem Brief gar nicht herumschlagen. Stattdessen haben sie beschlossen, hinter der Debatte um Stella eine Verschwörung des Feuilletons zu sehen, das sich aus Angst vor dem eigenen “Bedeutungsverlust” ein letztes Mal aufbäumt, diese Rückzugsgefechte in denunziatorischer Absicht auf dem Rücken eines Autors austrägt und dabei mit “Furor” Verbote aufstellt: Die Kritiker des Romans hätten, so steht es im Brief, für sich beansprucht, “die Lufthoheit darüber zu haben, wie über die Zeit des Nationalsozialismus geschrieben werden darf”. 

Die Einzigen, die etwas untersagen wollen

Nun ging es in den Kritiken zu Stella allerdings gar nicht ums “Dürfen” oder “Nichtdürfen”. Wer dies glaubt, missversteht, ob aus Ressentiment oder Taktik, die Funktion der Literaturkritik. Die Debatte handelte – nebenbei bemerkt: in größtenteils kühler, analytischer Schärfe – von der Frage, ob es eine Ethik des Erzählens gibt, davon, ob der Holocaust und seine realen Opfer in Stella nicht zu kulturkapitalistischen Spielmarken werden und wo die Grenze verläuft zwischen Einfühlung und saurem Kitsch, Größe und dem bloßen Willen zur Größe. Aus der Diskussion, ob ein Stil, eine Form, die Sprache eines Buchs, ob die Wahl der literarischen Mittel im Verhältnis zum Gegenstand angemessen ist, erfolgen weder Verbotsgesuche noch verbindliche Empfehlungen für die Zukunft, an die sich alle zu halten hätten.

So gesehen: Natürlich darf Takis Würger weiterhin in dieser Art über den Nationalsozialismus schreiben, natürlich darf ein Verlag das alles in den Druck geben, und jede Buchhandlung darf damit ihre Tische vollstapeln, und natürlich darf die Literaturkritik das Buch bemängeln, und der Autor, Verlag und die offenbar verzückten Leser dürfen sich dann trotzig darüber wundern. Und es dürfen weiterhin Briefe einiger Leute erscheinen, die nicht verstanden haben, dass sie die Einzigen sind, die etwas untersagen wollen, wenn sie die Rezensenten gouvernantenhaft ermahnen: “Dieser Umgang mit Literatur verbietet sich.”

Das Feuilleton habe die “Freiheit des Erzählens” eingeschränkt und nehme in Kauf, “dass sich die Generation der Nachgeborenen kaum mehr schreibend an die Themen Nationalsozialismus und Shoa” herantraue, was den Fortbestand künftiger Erinnerung und literarischer Beschäftigung gefährde. Und weil das ja niemand wollen kann, ist also der Gegenvorschlag, die Freiheit der Kritik infrage zu stellen, die sich künftig besser blöde über jedes Buch zum Thema freuen soll, weil es doch viel schöner ist, dass überhaupt erzählt wird, anstatt störrisch auf Kriterien zu beharren und “künstliche Debatten” zu initiieren.

Ganz davon abgesehen, dass es drollig ist, dem Feuilleton erst einen “Bedeutungsverlust” zu bescheinigen, unter dem es so sehr leide, und ihm dann die Allmacht zuzusprechen, eine heranwachsende Autorengeneration durch “Brandrodungskritiken” zu traumatisieren: Es wäre ebenso berechtigt, anzunehmen, dass sich künftige Generationen durch den Erfolg von Stella ermutigt fühlen, ebenfalls naive, auf den Effekt dressierte Schnulzen zu schreiben. Und dann könnten sich immerhin beide Seiten über Arbeit nicht beklagen. Die Rezensenten könnten wieder ihre Rezensionen schreiben und die Händler ihre Bücher verkaufen, nebenbei Briefe verfassen und sich weiter so quälend fragen, wann die Literaturkritik sich zum demütigen Marktschreier und Empfehlungsgehilfen degradiert. Und wer dies so dringend herbeisehnt, fürchtet sich im Übrigen möglicherweise mehr vor dem eigenen Bedeutungsverlust als jene, denen er diese Angst unterstellt.

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