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Spitzensteuersatz: Hoch die Steuern

Diese Revolution wird im Fernsehen übertragen. Auf “bis zu 70 Prozent”
solle der Steuersatz für die reichsten Amerikaner steigen, forderte die demokratische
Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez Anfang Januar in einer bekannten amerikanischen
Nachrichtensendung – und wurde das Gesicht einer globalen Bewegung, die mit höheren Steuern
für mehr Gerechtigkeit in der Welt sorgen will.

In Großbritannien fordert die Labour-Partei des Jeremy Corbyn, den Spitzensteuersatz von derzeit 45 auf 50 Prozent zu erhöhen.

In Frankreich hat der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon sogar einen Satz von 90 Prozent für Einkommen über 400.000 Euro vorgeschlagen.

In Deutschland verlangt Finanzminister Olaf Scholz (SPD) eine Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 Prozent – ohne Reichensteuer und Solidaritätszuschlag – auf 45 Prozent. Und in seiner Partei denkt man über eine Wiederbelebung der vor über zwanzig Jahren ausgesetzten Vermögensteuer nach.

So rücken mit einem Mal Ideen ins Zentrum der politischen Debatte, die noch vor wenigen Jahren als chancenlos galten. Was ist da los?

Der wichtigste Grund: Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich vor allem in den angelsächsischen Ländern erheblich gespreizt. Das reichste Prozent der US-Haushalte kontrolliert heute amtlichen Daten zufolge 38,6 Prozent des gesamten Volksvermögens, fast zehn Prozentpunkte mehr als noch vor 25 Jahren. Die unteren 90 Prozent der Bevölkerung besitzen heute bloß noch 22,8 Prozent des Vermögens, vor 25 Jahren waren es noch 33,2 Prozent.

Gleichzeitig verteilen die nationalen Steuersysteme heute “weniger stark” von den Reichen zu den Armen um als früher – so steht es in einer Vergleichsstudie des Internationalen Währungsfonds (IWF). In Deutschland beispielsweise lag der Spitzensteuersatz zu Beginn der Achtzigerjahre noch bei stolzen 56 Prozent. Er wurde damals ab einem Jahreseinkommen von umgerechnet 66.485 Euro fällig – wäre diese Regelung noch in Kraft, so müsste dieser Prozentsatz (unter Einberechnung der Inflation) heute ab einem Verdienst von etwa 115.000 Euro bezahlt werden.

Zugleich wurden seither indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer kräftig erhöht. Sie trifft ärmere Haushalte besonders stark, weil diese einen großen Teil ihres Einkommens für den Konsum ausgeben. Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat ergeben: Alle Steuerarten zusammengenommen, müssen Geringverdiener sogar einen höheren Anteil ihres Haushaltseinkommens an den Staat abgeben als Gutverdiener.

In den USA lag der Spitzensteuersatz in den Fünfzigerjahren bei über 90 Prozent, wenn auch die Einkommensgrenzen so gezogen waren, dass vergleichsweise wenige Arbeitnehmer tatsächlich so viel bezahlen mussten. Erst in den Achtzigerjahren fiel er unter die Marke von 70 Prozent, heute liegt er bei 37 Prozent. Die ökonomische Begründung für die Entlastungen an der Spitze: Wenn den Unternehmern und Managern mehr Netto bleibt vom Brutto, dann arbeiten und riskieren sie mehr, das schafft Arbeitsplätze, und davon profitiert die Allgemeinheit.

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