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Gebärmutterhalskrebs: Unterschätzter Schutz

“Stell dir vor, es gibt eine Impfung gegen Krebs, aber keiner geht hin” –
ganz so drastisch ist es zwar nicht, aber verwundert kann man schon sein. Die Rede ist von der
Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV), die zum Beispiel Gebärmutterhalskrebs auslösen. Für
die Entdeckung dieses Zusammenhangs erhielt der Heidelberger Krebsforscher Harald zur Hausen
vor elf Jahren den Medizinnobelpreis
. Die Ständige Impfkommission empfiehlt die HPV-Impfung
für 9- bis 14-jährige Mädchen und seit Kurzem auch für Jungen, für die sie ebenfalls wichtig
ist. Aber in Deutschland liegt die Zahl der geimpften Mädchen nur bei 40 Prozent. Woher rührt
die Zurückhaltung? Eine Kinderärztin, ein Frauenarzt und ein Psychologe diskutieren in einem
Konferenzraum der
ZEIT
– sie kennen sich nicht und sind zum Teil von weit her
angereist.

ZEIT Doctor: Die Weltgesundheitsorganisation WHO wirbt für die HPV-Impfung, mit dem
Ziel, den Gebärmutterhalskrebs auszurotten. Warum schreibt die Gesellschaft
Anthroposophischer Ärzte in Deutschland: “Es ist möglich, auf die Impfung zu verzichten,
ohne ein Risiko einzugehen”?

Frauenarzt:
Das ist eine empörende Falschinformation, fast schon
kriminell.

Psychologe:
Die Impfung bietet natürlich keinen hundertprozentigen Schutz.
Fast nichts in der Medizin wirkt zu hundert Prozent. Aber daraus abzuleiten, man könne genauso
darauf verzichten, wäre Wahnsinn.

Frauenarzt:
Es ist extrem gut belegt, dass die Impfung die Vorstufen von
Gebärmutterhalskrebs verhindert und auch Genitalwarzen. In Australien werden Kinder konsequent
gegen HPV geimpft, da sind Genitalwarzen fast komplett verschwunden, und die Krebsvorstufen
gehen drastisch zurück.

ZEIT Doctor: Weniger Krebsvorstufen – was bedeutet das?

Kinderärztin:
Krebsvorstufen sind Gewebeveränderungen, aus denen im Laufe
der Jahre Gebärmutterhalskrebs entstehen kann. Um abzuklären, ob so eine Gewebeveränderung
problematisch ist, wird den Frauen mitunter ein kegelförmiges Stück am Muttermund entfernt.
Konisation heißt das Verfahren, angeblich “ein kleiner Eingriff”. Entschuldigung, aber das ist
kein kleiner Eingriff. Das ist zwar für die Frau in dem Moment nicht riskant, aber es steigt
das Risiko, dass sie später einmal eine Frühgeburt hat, und davon sind Kind und Familie
hinterher massiv betroffen.

Frauenarzt:
Deshalb ist die Impfung übrigens auch ökonomisch sinnvoll.
Kollegen von mir haben ausgerechnet, dass schon der Rückgang an Frühgeburten die Kosten für
die Impfung wieder einspielt.

Kinderärztin:
Es geht nicht nur darum, mit der HPV-Impfung Krebs zu
verhindern, es geht auch um die Lebensqualität der Betroffenen. Eine Frau geht einmal im Jahr
zur Krebsfrüherkennung. Da wird ein Abstrich vom Muttermund gemacht, und wenn der auffällig
ist, ruft jemand aus der Arztpraxis an und sagt: Wir müssen das mehrmals im Abstand von drei
Monaten wiederholen, Sie haben vielleicht Krebs oder auch nicht, man weiß es nicht genau. Das
ist oft die Arzthelferin, die vielleicht ihre Worte nicht so gut abwägt. Die Frau lebt dann
neun bis zwölf Monate mit der Angst, vielleicht Krebs zu haben. Diese seelische Belastung
ersparen Sie den Frauen durch die Impfung, das taucht aber in den Studien nirgendwo auf.

Frauenarzt:
Auch Männer profitieren von der HPV-Impfung, weil sie auch
Genitalwarzen verhindert. Solche Warzen an Penis, After und Vagina können sehr entstellend
sein. Ich habe Bilder, da denken Sie, die Person hat einen Blumenkohl zwischen den Beinen,
und die Behandlung zieht sich über Jahre.

Kinderärztin:
Das Sexualleben ist massiv eingeschränkt, wie man sich
vorstellen kann.

ZEIT Doctor: Die Viren werden oft beim Sex übertragen. Geht mit der Infektion eine Stigmatisierung
einher?

Kinderärztin:
Auf jeden Fall.

Frauenarzt:
Das liegt leider auch an diesen Kürzeln der Virologen: HIV, HPV,
HSV für Herpes simplex, für den Laien klingt das alles gleich. Wir hatten ein Kleinkind mit
Feigwarzen im Genitalbereich. Der Vater war Polizeibeamter und ist fast aus dem Job geflogen,
weil der Verdacht auf Missbrauch im Raum stand. Es stellte sich raus, dass die Großmutter eine
kleine Warze am Finger hatte, ausgelöst von HPV 6. Sie hat das Kind oft gewickelt und
vermutlich das Virus übertragen. Es ist falsch, HPV das Label einer sexuell übertragbaren
Krankheit zu geben. Leider haben viele Dermatologen und Sexualmediziner diese Denkweise
befördert. Tatsache ist: Es gibt 222 Arten von HP-Viren. Einige davon schleppen wir auf
unserer Haut herum. Die kriegen Sie auch im Bus am Haltegriff. Deshalb nutzen auch Kondome
wenig. Die HPV-Varianten, die Gebärmutterhalskrebs auslösen, etwa HPV 16 und HPV 18, werden
sexuell übertragen, das ist schon richtig. Das heißt aber auch: 70 bis 80 Prozent der sexuell
Aktiven werden irgendwann einen HPV-Infekt haben. HPV-positiv zu sein ist also nichts
Besonderes. Und wenn Sie im HPV-Roulette Pech haben, ist es eben HPV 16, das ist der übelste.

Psychologe:
Selbst monogam lebende Frauen sind zu 30 Prozent irgendwann im
Leben HPV-positiv. Ob man nun mit fünf oder mit 50 Partnern Sex hatte, spielt wirklich keine
große Rolle.

Kinderärztin:
Die Assoziation von HPV und Sex ist auch für die
Kinderarztpraxen problematisch, wo ja die Impfung stattfindet. Die Mädchen in meiner Praxis
wollen mit mir nicht über Sex reden und mit ihren Eltern auch nicht. Die werden mit 13 Jahren
zum Arzt geschleift, sitzen nachmittags kerngesund bei Neonlicht in meiner Praxis, und dann
kommt so eine Trulla im weißen Kittel und sagt: Jetzt wollen wir mal über Gebärmutterhalskrebs
reden. Das ist ein Kommunikationsdesaster.

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