/“Tina – Das Tina Turner Musical”: Simply the Best

“Tina – Das Tina Turner Musical”: Simply the Best

Gut
möglich, dass
dieser Abend der größte Triumph ihres Lebens ist. Rio de Janeiro, 16. Januar
1988, gleich wird Tina Turner im Estádio do Maracanã vor 188.000 Menschen auftreten,
man kann die Massen schon jubeln hören. Es ist der Gipfel ihrer Karriere; von
dem Moment, in dem sie diesen Gipfel erklimmen wird, trennen sie nur noch eine
kleine Meditation – und ungefähr zwei Stunden Musical auf der Bühne des
Hamburger Operettenhauses, wo die Stätte des Triumphs jetzt nachgebaut ist.

Denn natürlich
gibt es keinen besseren Einstieg für eine Bühnenshow über das Leben von Tina Turner als diesen Moment kurz vor dem größtmöglichen Triumph. Weil dann der
Triumph selbst das Finale sein kann. Weshalb die Chancen gut stehen, dass sich
die Euphorie der Zuschauer aus dem Estádio de Maracanã wie von selbst auf das
Musicalpublikum im Hamburger Operettenhaus überträgt.

Diesen Satz
muss man kurz einsickern lassen, weil darin doch sehr viele Gefühle auf einmal
liegen, triumphale wie ernüchternde: Es gibt Tina Turners Leben jetzt als
Musical.

Was es über
ein Leben aussagt, dass es sich so gut als Musicalstoff eignet, ist eine ganz
eigene Frage. Die Antwort lautet: nicht allzu viel Erfreuliches. Denn es
braucht dazu besonders hohe Höhen und tiefe Tiefen, die einen wie die anderen
nur bedingt vorhersehbar. Aber es ist, wie es ist. Seit der Deutschlandpremiere
an diesem Sonntag jedenfalls ist Tina Turners Leben achtmal die Woche im
Operettenhaus am östlichen Ende der Reeperbahn zu sehen: Tina, das Musical. Mit allen Tiefen und allen Triumphen, es gab schließlich
von beidem reichlich.

Auch daran
liegt es, dass dieser Abend das Zeug hat, ein Triumph zu werden. Aber nicht
nur.

Zuvorderst
liegt das an Kristina Love. Sie ist es, die schon bei der Vorpremiere Tina Turner so überzeugend singt und
spielt, dass man sich fragt, warum Love nicht längst selbst berühmt ist. Sie spielt
alle Kollegen an die Wand, was gar nicht so sehr ins Gewicht fällt, da der
Abend sowieso ganz und gar um sie herum gebaut ist.

Die Geschichte
handelt davon, wie Tina vom R’n’B-Star Ike Turner entdeckt, geheiratet und
misshandelt wird, so lange, bis sie in ein eigenes Leben und eine eigene
Karriere entkommt.

What’s Love Got to Do With It?

Erzählt wird
diese Geschichte in Schlaglichtern. Tina, wie sie noch gar nicht Tina Turner
heißt, sondern Anna Mae Bullock, geboren in Nutbush, Tennessee, wo sie im
Gottesdienst so laut singt, dass ihre Mutter ihr danach mit einer Tracht Prügel
droht. Tina, wie sie im Nachtclub in St. Louis zu Ike Turner auf die Bühne
kommt und ihn so beeindruckt, dass er mit seiner pinken Limousine am nächsten
Tag beim Haus ihrer Mutter vorfährt und diese bittet, Tina mit ihm auf Tournee
gehen zu lassen, für 25 Dollar pro Abend. Tina, wie sie im Studio kurzerhand
für den ausgefallenen Leadsänger Art Lassiter einspringt und von ihrem Mann den
Künstlernamen Tina Turner bekommt. Tina, wie sie sich aus den Fängen ihres
Mannes befreit und mit 36 Cent in der Tasche in ihr neues Leben aufbricht.
Tina, wie sie im Studio von Capitol Records die Stirn in Falten legt über das
Demo von What’s Love Got to Do With It, was, das soll Rock’n’Roll sein?

Mal liegen nur
Sekunden zwischen den Ereignissen, mal eine ganze Kindheit, neun Monate einer
Schwangerschaft oder zehn Jahre Eheunglück. Das geht nicht ganz ohne
Schnittfehler, man wüsste schon gern, warum die Tochter eines baptistischen
Priesters auf einmal Buddhistin ist, oder wie der kostspielige Gerichtsstreit
mit ihrem Ex-Mann um die Namensrechte an Tina Turner beigelegt wird, aber
natürlich: Wenn ein Leben in zwei Stunden passen muss, dann ist nur Platz für
die wirklich wichtigen Ereignisse.

In Minute 25
kommt es zum ersten Duett mit Ike.

In Minute 76
verpasst sie ihm einen Tritt in die Eier, so heftig, dass das Publikum auf den
Rängen applaudiert.

Und natürlich
ist das Timing recht glücklich. Passend zum 80. Geburtstag seiner Hauptfigur erzählt
es zwei Geschichten auf einmal: das Leben einer Sängerin mit dunkler Hautfarbe,
die sich mit Songs aus der Feder von schwarzen Künstlern bei weißen Produzenten
durchsetzen muss, um sich anschließend mit deren Songs wieder bei den schwarzen
Fans zu behaupten, bevor sie schließlich, wie man so schön sagt, die Welt
erobert. 

Es ist die
Geschichte einer Frau, die sich ihr ganzes Leben lang gegen Männer behaupten
muss, die sie misshandeln, bevormunden und beiseite schieben.

Es ist auch eine
Geschichte über eine starke Frau und sich stark wähnende männliche
Schwächlinge, im Mantel einer Geschichte über Rassismus, erzählt anhand des
Lebens einer der größten lebenden Popstars – punktgenauer kann man einen
Musicalstoff nicht landen. 

Jede Szene
findet vor einer sehr liebevoll gestalteten Stellwand statt. Irgendwann
verliert man den Überblick darüber, wie viele Hausfassaden, Küchenzeilen, Stage
Doors, Tonstudiokabinen, PanAm-Abflugschalter es sind, die von links auf die
Bühne geschoben werden, jede einzelne viel feiner geschnitzt als die Dialoge,
die vor ihnen aufgeführt werden. Aber das macht nichts, die Botschaft kommt
auch so über die Rampe: Glaub’ an dich, hör’ auf die richtigen Leute – und lern’,
die richtigen von den falschen zu unterscheiden. Diese Botschaft ist aber
beinahe das einzige bisschen Kitsch.

“Wir woll’n keine neuen Helden”

Denn Tina ist kein Bombastmusical. Es gibt
fast keine aufwendig choreografierten Massenszenen, auch keine naturalistischen
Breitwandbühnenbilder, stattdessen: ein paar ausgesuchte Requisiten. Ein paar
Projektionen auf die Bühnenrückwand. Und eine virtuos verwendete Dreh- und
Klappbühne, die vor allem mit der Fantasie der Zuschauer spielt. Und das ist
nicht nur optisch, sondern auch dramaturgisch die richtige Entscheidung, es
geht hier ja um das Leben einer realen Person. Es ist ein Abend, der unterhält
und anrührt, ohne in Musicalkitsch zu versinken. Eine gut erzählte Geschichte,
die so nah es irgend geht an der Wirklichkeit bleibt. Und es ist ein Musical,
das mit fast allen Musicalklischees bricht.

Nur mit einem
nicht: den deutsch übersetzten Songtexten. 

“Lass uns zwei
eins sein / mit Glück und Leid / für alle Zeit”

Oder:

“Oh komm
endlich her /gib mir alles und noch mehr”

Oder:

“Was ist schon
dabei / nimm mein Herz und lass es frei”

Oder, zur
Melodie von Private Dancer:

“Ich werd’
weitertanzen, ich tanze mein Leben, so hart mich das Schicksal auch schlägt,

ich werd
weitertanzen, und dir alles geben, so lang diese Scheibe sich dreht”.

Das ist die
einzige echte Schwäche, die der Abend hat: dass er sich eben doch nicht auf die
Kraft und den Charakter der Songs von Tina Turner verlässt, sondern daneben
auch sehr gern noch Musical sein will, mit ein paar extra-gefühligen Zeilen und
Melodien, die neben den Tina-Turner-Riesenhits nicht gerade gut aussehen. Und
dass die Soul-Röhren, die für diesen Abend gecastet wurden, zwischendurch auch
immer noch ein paar Takte singen müssen, die auch wirklich nach Musicalnummer
klingen – das läuft dann meistens nicht so reibungslos.

Sicher gibt es
gute Argumente dafür, We don’t need another hero zu übersetzen mit “Wir
woll’n keine neuen Helden”, allen voran die Verständlichkeit. Aber in einem
Saal, der gefüllt ist mit Leuten, die mit dem Inhalt und dem Sound der
Originalsongtexte seit Jahrzehnten vertraut sind und vereinzelt jede Zeile
auswendig mitsingen könnten, ließe sich das Verständlichkeitsproblem vielleicht
auch mit einer guten Übertitelungsanlage lösen.

So macht
dieser kleine Schönheitsfehler nur die wahren Kräfteverhältnisse deutlich: Es sind
die Songs und die Überlebensgröße von Tina Turner, die dem Abend zum Erfolg
verhelfen und nicht etwa umgekehrt dem Musical über Tina Turner zu
Unsterblichkeit. Das hat sie allein geschafft. Und genau das ist die
Geschichte, die der Abend erzählt.

Am Ende
erklimmt Kristina Love im Tina-Turner-Kostüm dann natürlich, wie anfangs
versprochen, den Gipfel ihrer Karriere, tritt vor das Publikum und singt – zum
Glück dann doch auf Englisch – Simply the Best. Zu den Banddarstellern auf
der Bühne gesellt sich die echte Band, und der Abend mündet nahtlos in das
eine, große, ultimative Tina-Turner-Konzert, das jede einzelne der bis dahin
vergangenen Minuten versprochen hat. Und die Rechnung geht auf. Die Euphorie
kann einst in Rio de Janeiro auch nicht größer gewesen sein. Und bei aller Wucht
und Lebensfreude vergisst man sofort, dass es sich ja doch nur um eine
Cover-Band handelt.

Dies ist ein Artikel aus dem Hamburg-Ressort der ZEIT. Hier finden Sie weitere News aus und über Hamburg.

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