/Jahrestag des Reichtagsbrands: Gelegenheiten für Despoten

Jahrestag des Reichtagsbrands: Gelegenheiten für Despoten

Lesen Sie hier das türkische Original. Der Text ist für die deutsche Version redaktionell leicht bearbeitet worden.

Ich habe nicht vor, Erdoğan mit Hitler zu vergleichen. Ebenso wenig
vergleiche ich die Türkei mit dem Deutschland der Dreißigerjahre. Doch ich will zwei Beispiele
dafür geben, wie ähnlich Despoten auf der Suche nach absoluter Macht aus Krisen Macht
generieren: den 27. Februar 1933 und den 15. Juli 2016 …

Am ersten Datum wurde der deutsche Reichstag angezündet. Als Brandstifter wurde ein psychisch Verwirrter verhaftet, Kommunisten wurden angeklagt. Der wahre Grund, die wahren Verantwortlichen blieben im Dunkeln.

Das zweite Datum ist der Tag des Putschversuchs in der Türkei. Während die Abgeordneten tagten, warfen F-16-Kampfjets vier Bomben auf das Parlament ab. Dahinter steckte eine Gruppe Militärs, die Erdoğan stürzen wollten. Das gelang nicht. Sie wurden verhaftet. Ihr Prozess dauert an.

Schauen wir, was jeweils davor stattfand: In Deutschland war Hitler zum Reichskanzler ernannt worden. In der Türkei hatte Erdoğan die Gezi-Proteste brutal zerschlagen und begonnen, mit seinem ehemaligen Partner Gülen abzurechnen. Hitler wie Erdoğan brauchten einen Vorwand, um ihre Macht zu festigen. Am Tag nach dem Brand setzte Hitler per Verordnung, die er den Reichspräsidenten unterzeichnen ließ, die Rechte und Freiheiten der Verfassung aus. Anschließend blies er zur Hexenjagd auf seine Gegner.

Erdoğan rief fünf Tage nach dem Bombardement für drei Monate den Ausnahmezustand aus, damit konzentrierte er sämtliche Kompetenzen in seiner Person. Sieben Mal ließ er ihn verlängern, zwei Jahre lang. Über 50.000 Personen ließ er verhaften, allesamt Gegner.

Der 28. Februar war für Deutschland, der 20. Juli für die Türkei ein Gegenputsch. Die beiden Herrscher nutzten die Attacken auf die Parlamente zur Selbstermächtigung. Darum blieben der Reichstagsbrand in Deutschland wie der Umsturzversuch in der Türkei mit Fragezeichen behaftet.

In beiden Parlamentsgebäuden werden die Spuren des Katastrophentags noch heute bewahrt und Besuchern vorgeführt. In Deutschland ist der Brand Geschichte, die Türkei aber versengt er weiter. Am 15. Juli wehrte die Türkei den Coup gegen Erdoğan ab, ohne einem Militärregime anheimzufallen. Doch Erdoğans Gegenputsch vom 20. Juli konnte nicht verhindert werden. Mit dieser Ermächtigung gelang es Erdoğan, das Parlament, das die Putschisten nicht hatten zerstören können, auszubooten, also praktisch abzuschaffen. Diesen Coup landete er auch noch unter dem Mantel der “Putschverhinderung”. Die Türkei wurde zum Polizeistaat.

Daran muss ich zum Jahrestag des Reichstagsbrands denken.

Aus dem Türkischen von
Sabine Adatepe

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