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Skispringen: Noch fliegen sie

Die Tage bei der Weltmeisterschaft in Seefeld und Innsbruck wirken ein bisschen, als hätte sie jemand aus einem kitschigem Drehbuch entnommen: die Panoramakulisse vom Bergisel, blauer Himmel, strahlende Sonne, der Blick hinunter auf Innsbruck und auf die schneeweiße Nordkette. Und dann bekommt Werner Schuster, der nach elf Jahren als Bundestrainer der deutschen Skispringer aufhört, auch noch zwei Siege geschenkt, einer schöner als der andere.

Erst gewinnt Markus Eisenbichler Gold, dann die Mannschaft. Was dem 49-jährigen Schuster in diesen Tagen bei seinem letzten großen Auftritt passiert, wirkt fast zu perfekt, um wahr zu sein. Und doch passt es als Krönung dieser Trainerkarriere.

Im Rückblick hat Werner Schuster Großes geleistet. Als der Österreicher 2008 sein Amt vom glücklosen Peter Rohwein übernahm, war das einst so spektakuläre Skispringen in Deutschland am Boden. Schuster hat Geduld mitgebracht. Feingefühl. Und einen Plan. Behutsam hat er dem deutschen Team aus der Mittelmäßigkeit in ungeahnte Höhen geholfen. Nun hat er seinen Vertrag nicht verlängert. Aus privaten Motiven, wie er sagt.

Das deutsche Team hat ein Luxusproblem

Schuster hat mit seinen Springern den Olympiasieg im Team 2014 und Silber 2018 gewonnen, den Olympiasieg des noch jungen Andreas Wellinger 2018 gefeiert, dazu WM-Titel mit Severin Freund 2016 und nun Eisenbichler 2019, plus weitere Medaillen und zahlreiche Weltcuperfolge. Wenn man mäkeln wollte an der Bilanz, bliebe nur der fehlende Sieg bei der prestigeträchtigen Vierschanzentournee

Nun hat Schuster sich entschlossen, das Kapitel zu schließen. Elf Jahre Welttournee in Verantwortung sind fürs Erste genug. Zumindest für die Familie. Schuster hat zu Hause zwei Kinder. Beide gehen noch in die Schule. Der Kleine kennt den Papa im Winter nur aus dem Fernsehen, wie er neulich bekannte. Das soll nun nicht mehr sein. 

Auch die Rückkehr ans Skigymnasium Stams oder ein Wechsel zum Österreichischen Verband sind im Gespräch. Schuster lässt es erst mal offen. Fragt sich nur, was für Deutschland bleibt, wenn er fort ist. Drei Jahre sind es noch bis Olympia. Die Erwartungen könnten kaum größer sein. 

Als heißester Kandidat für die Nachfolge gilt Stefan Horngacher. Der trainiert zurzeit noch die Polen. Der Österreicher kennt den Deutschen Skiverband (DSV) aus seiner Zeit als Schusters Assistent von 2011 bis 2016. Es gibt schon Gespräche, heißt es vom DSV. Eine Entscheidung soll aber erst nach der WM bekannt gegeben werden. 

Schusters Team ist so gut und selbstbewusst, dass der Trainer es sich in Innsbruck sogar leisten konnte, einen Olympiasieger (Wellinger) auf der Bank und einen Weltmeister (Freund) gleich auf der heimischen Couch zu lassen. Das deutsche Team hat ein Luxusproblem. Den Teamerfolg hätte es wohl auch in jeder anderen möglichen Besetzung mit den Ersatzspringern holen können.

“Lieber am Smartphone”

Doch Erfolg ist nicht von Dauer. Er braucht Talente, immer wieder. Der gute Trainer allein, komme, wer wolle, wird nicht reichen. In Deutschland hüpfen, springen, fliegen aktuell 2.000 Jungen und 600 Mädchen von den Schanzen. So sagt es der DSV. 

Sie erhalten alle eine nordische Grundausbildung. Das heißt, sie lernen erst mal Skisprung und Langlauf, und erst später entscheidet sich, ob sie eines von beiden oder weiterhin beides wollen. Das wiederum heißt, dass sich die Spezialspringer und Nordischen Kombiniererinnen den Nachwuchs auch noch mit 14 oder 15, vielleicht 16 Jahren teilen müssen. Von einer breiten Basis zu sprechen, wäre übertrieben. Auf acht Bundesländer ist der Nachwuchs verteilt. 

Die Zahl ist in den Jahren weitgehend konstant geblieben, sagt der sportliche Leiter des DSV, Horst Hüttel. Das ist ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass kaum eine Sportart nicht über Nachwuchsrückgang und Mangel klagt. Im Skispringen scheint das also anders zu sein. Die Begeisterung der Jungen ist ungebrochen. Aber: “Der Aufwand, an ihn heranzukommen, ist größer geworden”, sagt Horst Hüttel. 

Die DSV-Springer gehen deshalb gezielt in die Schulen in Berchtesgaden, Oberstdorf, Furtwangen, Oberwiesenthal, Klingenthal, Oberhof, Winterberg, Willingen. Überall dort eben, wo im Land Schanzen stehen. Das wirkt, sagt Horst Hüttel. Anders als etwa bei den Alpinen. “Die haben inzwischen gut ein Drittel weniger Kinder als noch vor sechs oder acht Jahren.” 

“Kinder sind heute lieber am Smartphone. Aber auch die Bereitschaft der Eltern, die Kinder zur Schanze zu fahren, ist nicht mehr so da”, konstatiert Hüttel. Mütter und Väter hätten beruflich mehr um die Ohren. Mit dem Sport habe das gar nicht so viel zu tun, sagt Hüttel. “Die Musikschulen haben das gleiche Problem”, will er aus Gesprächen mit anderen Eltern erfahren haben. 

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