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Rente: Arbeiten bis 70 sollte normal sein

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch “Lasst uns länger arbeiten” von Alexander Hagelüken. Es erscheint an diesem Freitag im Droemer-Verlag. Hagelüken ist leitender Redakteur der “Süddeutschen Zeitung” und dort für Wirtschaftspolitik zuständig.

In unserer Zeit verändern sich Dinge, die Jahrtausende unverändert blieben. Noch vor 100 Jahren wurde kaum ein Mitteleuropäer 100 Jahre alt. Wer heute 20 ist, wird dagegen sogar mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent 100 Jahre alt. Diese unglaublichen Möglichkeiten werden allerdings zu Gefahren, wenn die Gesellschaft nicht reagiert. Längeres Arbeiten ist zentral für eine faire Rentenreform, die das System rettet. Aber wie funktioniert das praktisch? Es bedarf eines Bewusstseinswandels, dass alt eben nicht dasselbe bedeutet wie nutzlos.

Es muss sich vieles ändern, in den Köpfen der Arbeitnehmer genau wie bei den Unternehmen, die Ältere lange aufs Abstellgleis schoben. Sie müssen Flexibilität schaffen statt der Ruhestandsnorm. Und es braucht Angebote an jene, die nicht so lange arbeiten können. Doch wie genau soll die Mechanik längeren Arbeitens aussehen?

Wer nach internationalen Vorbildern sucht, findet rasch welche. Die Skandinavier begannen generell früh, sich auf die Alterung einzustellen. Schweden hat das Standardruhestandsalter schon vor Jahren abgeschafft. Man kann mit 61 eine Rente beantragen, mit 64, mit 67. Je nachdem fällt sie niedriger oder höher aus. Wer länger als 67 arbeitet, erhält entsprechend mehr Altersbezüge. Solch eine Flexibilität könnte die Ruhestandsnorm in Deutschland aufbrechen, wo normale Arbeitsverträge exakt mit dem Tag enden, an dem man eine volle Rente bekommt. Unternehmen sind bisher zu wenig darauf eingestellt, jemanden weiterzubeschäftigen. Wer in Teilzeit weitermachen will, steht vor verschlossenen Türen.

“Wir brauchen keine starre Altersgrenze”

Flexibilität kommt den Bedürfnissen der Arbeitnehmer entgegen. Die Dänen verbieten es Firmen deshalb, den Arbeitsvertrag automatisch mit dem Ruhestandsalter enden zu lassen. Das ist ein Vorbild für die Bundesrepublik. “Wir brauchen keine starre Altersgrenze, die den Menschen vorschreibt, wann das Erwerbsleben endet”, kritisiert der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm. Fällt die Ruhestandsnorm in den Arbeitsverträgen, müsste jedes Unternehmen mit dem Beschäftigten reden und langfristig planen. “Es geht um eine Umkehrung der Beweislast”, sagt Blüm. “Bis jetzt muss die Weiterarbeit vereinbart werden. Andernfalls ist mit 65 Jahren Schluss, und zwar ohne Kündigungsschutz. Umgekehrt ginge es weiter, und zwar mit Kündigungsschutz.”

Die Hälfte aller Industriestaaten erhöht in nächster Zeit das Ruhestandsalter. Mehrere Staaten knüpfen es explizit an die gestiegene Lebenserwartung, die die beste Begründung liefert. So wird das normale Ruhestandsalter in Dänemark in den nächsten zehn Jahren auf 68 steigen. In Schweden und Norwegen sieht es so aus: Sobald jemand in den Ruhestand gehen möchte, wird beziffert, wie lange sein Jahrgang im Schnitt zu leben hat. Wenn jemand aufhören möchte, obwohl er fit ist, kann er das ohne Probleme. Wer schon mit 60 aufhört, kriegt weniger Rente als jemand, der mit 65 aufhört – und etwa die Hälfte der Altersbezüge von einem, der sogar bis 70 tätig bleibt. Damit schiebt einen das System sanft in die Richtung, sein Potenzial auszunutzen.

Rentenzuschläge geben Anreiz für längeres Arbeiten

Flexibilität und Rente nach Lebenserwartung, damit lässt sich das deutsche System umgestalten. Erst die Arbeitsverträge mit der Ruhestandsnorm abschaffen und so jenen das Weitermachen ermöglichen, die es wollen. Und ihnen dann durch deutliche Rentenaufschläge einen Anreiz geben, über den Moment hinaus tätig zu bleiben, an dem es die vollen Altersbezüge gibt – aktuell kommt dieser Zeitpunkt bei gut 65, 2030 bei 67, danach später.

Damit würden alle jetzt Gebremsten ihr Potenzial ausschöpfen. Wer nur Teilzeit weitermacht, wie es sich viele wünschen, könnte schon partiell Rente erhalten. Wer früh ganz aus dem Beruf ausscheidet, obwohl er weiterarbeiten könnte, kann das nach dieser Reform. Er muss das eben mit Abzügen von der Rente bezahlen. Diese Abzüge fallen umso moderater aus, je geringer der Abstand zum Alter voller Ruhestandsbezüge wird. Eine Forschergruppe um den Wirtschaftswissenschaftler Timm Bönke zeigt, dass sich das Ruhestandsalter nur nach hinten schieben lässt, wenn es Abschläge gibt. Und dass diese viel schonender wirken als allgemeine Rentenkürzungen. Höhere Abschläge werden dazu führen, dass die Deutschen länger arbeiten.

Solche Abschläge sind sozial gerecht. Denn warum sollten jene, die weiterarbeiten können, aber aufhören, genauso hohe Altersbezüge bekommen wie jene, die weitermachen? In Deutschland durfte man bis 1992 einfach ohne Einbußen früher aufhören – ein seltsames Verständnis von Fairness. Aber was ist mit jenen, die wirklich nicht mehr arbeiten können?

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