/Lukas Kranzelbinder: Ooooooouuuuuh!

Lukas Kranzelbinder: Ooooooouuuuuh!

Als das Wiener Septett Shake Stew im Januar 2019 im westfälischen Münster spielt, ist es der letzte Abend des internationalen Jazzfestivals, das sein 40-jähriges Bestehen feiert. Es ist das letzte Konzert, der Höhepunkt, ein Afro-Swing-Blues-Gospel-Psychedelik-Free-Jazz-Spektakel vor ausverkauftem Haus, und die Besucher hören bis zum Schluss gebannt zu. Dann brandet Beifall auf und brandet und brandet, Hochrufe sind zu hören, bis der Mann am Bass dem Publikum bedeutet, stille zu sein, er möchte noch etwas sagen. Es ist Lukas Kranzelbinder, der Bandleader.

Und das, was er dann sagt, jeden Halbsatz zelebrierend, ist so repetitiv dahinimprovisiert wie die Musik, die seine Band Shake Stew zu Österreichs aufregendstem Jazzexport macht:

“Als wir gestern in Wien aufgebrochen sind und als wir gestern in Wien zum Flughafen gefahren sind und als wir gestern in Wien ins Flugzeug gestiegen sind und als wir gestern auf Anweisung des Piloten wieder aus dem Flugzeug ausgestiegen sind” – hier glucksen sie schon im Saal – “und als wir gestern in Wien viereinhalb Stunden unser Gepäck nicht bekamen und als wir gestern in Wien auf dieses Gepäck warteten, weil alles da drin war, und als wir dann Nachtzüge gebucht haben und als es keine Tickets mehr gab für Nachtzüge, weil Ferienwochenende, und als wir drei verschiedene Züge gebucht haben, wo wir die unterschiedlichen Bandmitglieder in unterschiedliche Züge verfrachtet haben, und als wir dann nach zehn Stunden am eigenen Flughafen in die Nachtzüge gestern eingestiegen sind und als in unserem Sechserabteil außer uns beiden, außer Niki und mir, auch eine Familie mit zwei Erwachsenen und vier Kindern war” – Kichern und Gelächter im Saal – “und als uns die liebenswerten Grenzbeamten in Passau aus unserem Schlaf rissen um 12 Uhr, um unsere großen Ausweise zu kontrollieren, und als wir heut in der Früh in Hannover ankommen und ein Kollege erst in den Zug stieg und zwei andere in den Flieger stiegen und als wir dann von Hannover nach Osnabrück fuhren und als wir dann in ein Auto umstiegen in Osnabrück und dann nach Münster gekommen sind, um den Soundcheck um 11 Uhr zu schaffen, und als wir dann alle unsere Kollegen außer einem hier beim Soundcheck getroffen haben und als dieser Kollege nach neuneinhalb Stunden Zugfahrt heute um kurz vor 16 Uhr angekommen ist, um noch schnell hier sein Schlagzeug zu überprüfen, ob denn auch alles in rechter Ordnung ist, und als alles perfekt war … als all das passiert ist, hab ich immer a Gefühl g’habt, dass das ganz was, ganz was, ganz was Schönes mit Ihnen wird!”

Großes “Ooh!” im Publikum, Juchzen, Entzücken. Welcher Hörer wäre da auch nicht hin und weg, sei er nun ironiebegabt oder mitfühlend? Lukas Kranzelbinder weiß einen Abend zu gestalten, weit über das Musikalische hinaus. Sein Können als Conferencier steht dem als Bassist, Komponist, Arrangeur, Bandleader, Tourorganisator und PR-Manager in eigener Sache nicht nach.

Gern stellt er sich an den Bühnenrand, bevor’s richtig losgeht, und animiert das Publikum, seine Ansagen zu kommentieren. Es müsse ja nicht immer Beifall sein. Wie wäre es mit einem Raunen? Er übt es kurz mit den Konzertbesuchern, so im vergangenen September in der Münchner Unterfahrt, und nach zwanzig Sekunden raunen die Bayern, als hätten sie nie etwas anderes getan: “Ooooooouuuuuh!”

Wenn er im Folgenden die Queen Mu ankündigt, die sagenumwobene Gastsängerin von dem im Pazifik versunkenen Kontinent Mu, dann wird geraunt, als ob nun Unglaubliches bevorstünde – wiewohl niemand im Saal von dieser Queen je gehört hat.

Noch verblüffender ist es, dass dann tatsächlich Unglaubliches geschieht. Die Queen Mu, in goldenem Leibchen, in goldenem Kleidchen, mit goldenen Flügeln, Goldstaub im Gesicht, tritt auf mit einer Aura, die nicht zu erklären ist. Sitzt man später der Frau gegenüber, die sie verkörpert, Angela Maria Reisinger, dann wirkt die jedenfalls so normal, wie eine junge Frau nur wirken kann, die eine Gesangskarriere anstrebt, während sie Mann und Kind zu Hause hat.

Ein Teil von Kranzelbinders Bühnenkunst liegt in der Kombination des Schwerkombinierbaren. Für gewöhnlich ist eine Idee entweder tief oder flach; bei ihm ist sie beides. Im Wiener Porgy & Bess ließ er vor zwei Jahren bei einer Shake-Stew-Show mit Queen Mu Goldlametta aus Kanonen über die Köpfe des Publikums feuern; glorioser Moment und Scherzartikelei in einem. Noch Wochen später, erzählen die Musiker, habe Glitter rund um den Club auf der Straße gelegen. Einerseits nicht eben umweltfreundlich; andererseits sich untergründig der Stadt einschreibend.

Wer aus einem Shake-Stew-Konzert kommt, kann nur gute Laune haben, wiewohl Klänge ertönen, die nicht immer jedermanns Sache sind. Die schreienden Saxofone: Da müsste man eigentlich schon eine Begeisterung mitbringen, um sie zu empfinden. Bei Shake Stew aber schreien sie über einem brodelnden Rhythmus, dessen afrikanische Dringlichkeit hypnotisch wirken kann.

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