/“Angela I.”: Wenn das Volk mit Pudding wirft

“Angela I.”: Wenn das Volk mit Pudding wirft

Sollte sich noch jemand fragen, wie dieses Land nach Angela Merkels Amtszeit aussieht, findet er vielleicht nun im Theater
die Antwort. In Bremen feierte am Donnerstagabend das Stück Angela I. seine Uraufführung. Vorabbericht
in der Süddeutschen Zeitung, Vorabbericht in der taz,
Katja Hensel, die erste Autorin, die Angela Merkel bühnentauglich dramatisiert
hat. Einen Roman zur Kanzlerin gab es ja bereits, bis zur Netflix-Serie
dauert’s bestimmt auch nicht mehr so lang. Zum Vergleich: Gerhard Schröder schaffte es nur in ein Musikvideo und
auf die Couch von Thomas Gottschalk, und auf die Fiktionalisierung von
Helmut Kohl warten bis heute ein paar Hundert. Hensel hebt Merkel in
Shakespearsche Weihen, der Titel verrät es gleich, gespielt wird es von der Bremer Shakespeare Company, und all das klingt vielleicht nach etwas zu viel, aber immerhin ist es nicht
von Milo Rau.

Nun,
aber das Weltenende naht: Die Reichstagskuppel leuchtet wie ein
Schädel, davor tobt der Mob und schickt Hassmails an die
letzten Demokraten, die noch nicht vom Dach gesprungen sind. Bühnenrauch
und Kulissentrümmer. Der Bundesadler ist grämlichst aus dem Parlament
entflohen und kreist nun über Berlin. Und im Keller des Bundestags, wo
die gesamte Geschichte der Republik, ihre Skandale,
Altlasten und Tragödien im Fundus lagern, spielen einstige
Kanzlergattinnen Karten, während dort die Ruheständlerin Angela Merkel
den Tisch für ein Nachgespräch eindeckt, um zu klären, wie alles so weit
kommen konnte. Die Tischdecke liegt da “wie der westfälische
Friede”.

Katja Hensels Stück (Regie: Stefan Otteni) ist eine engagierte
Theaterburleske, ein assoziativer Reigen an Szenen, die von
der Entfremdung zwischen Politik und Bürgern erzählen wollen, von vier
Politikern, denen die Demokratie noch etwas bedeutet (die sich aber nur
streiten), vom randalierenden Volk, das mit Pudding und einer Plazenta
um sich wirft, von Merkels Stylistin und ihrem Chauffeur,
die sich reimend ancharmieren und von Kindern und einer Praktikantin,
die sich warm machen für die Anforderungen unserer
Gelderwerbsgesellschaft (“Ich spiele Amazon Prime!” – “Ich spiele
Zalando!”). Hensel montiert Bestandteile der bekannten Talkshowrhetorik in
Hochgeschwindigkeitsdialoge,
manchmal sind sie eher akustische Erlebnisse, manchmal
hilfloses Geplapper im Angesicht der drohenden Revolution, das ionescohaften Blödsinn produziert: “Unsere Großeltern sind doch nicht
mit den Öffis an die Front gefahren.” Die politische Verständigung
– will uns Hensel wohl sagen – ist leer.

Und
die Frau, die wahlweise an der ganzen Krise schuld ist oder jetzt
dringend wieder gebraucht wird, arbeitet heimlich an
ihrem Comeback. Hensel macht Merkel zu der drolligen, tapsigen
Pappfigur, ohne die ja weder das deutsche Kabarett noch
Vollrauschpatrioten auskommen und die gar nicht anders kann, als in
diesen Wendungen zu reden: die Alternativlos-Merkel, die
Das-ist-nicht-mehr-mein-Land-Merkel,
die Rauten-Merkel, die Pastellblazer-Merkel und natürlich die
Wir-schaffen-das-Merkel. Darüber soll man dann mit gewohnt wonnigem Hohoho lachen, dem Geräusch, das anzeigt, dass man dem Unterricht auf der Bühne
beflissen gefolgt ist.

Was allerdings das Lernziel ist, bleibt in Angela I.
ein wenig unklar. Zur verspannten und verkrampften Flottheit des Bühnentextes kommt der Anspruch, etlichen Gegenwartsdebatten obendrein
gerecht werden zu wollen: Die Regisseurin versucht, Politikverdrossenheit, das Misstrauen und
die Denunziation gegenüber Eliten, Hass und Patriotismus im
Internet irgendwie ernsthaft anzugehen – allerdings in einem Theater der
Harmlosigkeit, zu dessen zeitgemäßen Besonderheiten
es wohl gehört, dass es allen gefallen und niemanden verärgern möchte. Hensel will sowohl
Verständnis für die Politiker wecken wie auch für die Frustration der
angeblich betrogenen Wähler, die an einer Stelle zu “King Ihr” werden –
vermutlich wegen des hochwertigen Shakespearebezugs,
der sonst insoweit eingelöst wird, als dass Shakespeare ja immer irgendwie
passt, wenn etwas den Anschein der Tragik verlorener Macht erweckt, in
dem Maße, wie heute jede Alltagspeinlichkeit als “wie bei Loriot” gilt.
Schwer zu sagen aber, ob es am Ende die Vershakespearung
von Merkel ergibt oder doch die Merkelisierung von Shakespeare.

Dem
Ensemble selbst kann man keinen Vorwurf machen, es spielt souverän über
die Schwächen des Textes hinweg, der mit seinem
exaltiert arrangierten Phrasenschotter – wovon es außerhalb des Theaters
wahrlich schon genug gibt auf der Welt – über den Abend ein wenig
auseinanderfällt. Wer es genau wissen will: Politik ist kein Shuttlebus
und auch kein Lieferservice, dem Volk ist jedes Kaugummi
verboten, Demokratie ist kein Brieffreund, die Mehrheit ist sehr ruhig
und friedlich und der Osten “verdammt missraten”. Zur Premiere war
Angela Merkel im Übrigen eingeladen, sie wurde jedoch nicht gesehen. 

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