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Psychologie: Tausche meine Lachfalten gegen deine Wut

Paare, die sich immer ähnlicher sehen. Freunde, die dieselben Wörter benutzen. Mitbewohnerinnen, die zur selben Zeit ihre Periode bekommen. Es scheint, dass die Menschen, die viel Zeit miteinander verbringen, sich immer ähnlicher werden. Stimmt das oder ist es nur ein schöner Gedanke? Wir haben die Studienlage geprüft.

1. Wer lange zusammenlebt, sieht sich immer ähnlicher

Sehen wir zwei Menschen ähnlichen Alters in der gleichen Trekkingjacke, denken wir sofort: Vermutlich handelt es sich um ein Paar. Bei manchen gleichen sich jedoch nicht nur die Kleider, sondern auch die Gesichtszüge. Das liegt zum einen daran, dass sich Menschen zu anderen Menschen hingezogen fühlen, die ihnen ähnlich sehen. Zum anderen verändern sich Gesichtszüge mit der Zeit und werden denen von Menschen ähnlich, mit denen wir viel Zeit verbringen. Das zumindest ist das Ergebnis einer Studie, die Forscherinnen und Forscher um den Psychologen Robert Zajonc an der University of Michigan vor über 30 Jahren durchführten (Motivation and Emotion: Zajonc et al., 1987, pdf). 110 Probandinnen und Probanden sortierten 24 Fotos von frisch vermählten Menschen sowie 24 Fotos derselben Individuen 25 Jahr später – einmal nach Ähnlichkeit und einmal danach, wer wohl mit wem verheiratet ist. Das Ergebnis: Nach 25 Jahren Ehe sahen sich viele der Partner immer ähnlicher. Mitunter selbst Paare, die zu Beginn ihrer Beziehung keine Ähnlichkeiten aufwiesen. Scheinbar hinterließen die gemeinsamen Erfahrungen die gleichen Merkmale auf den Gesichtern: die gleichen Fältchen, Grübchen oder Runzeln. Dies erklärte das Forscherteam damit, dass Eheleute wahrscheinlich besonders empathisch miteinander fühlten und dabei den Gesichtsausdruck des anderen imitierten. Partnerinnen und Partner durchleben also nicht nur ähnliche Gefühle, diese hinterlassen in ihren Gesichtern auch gleichartige Spuren (Science: Zajonc 1985, pdf). Da verwundert es nicht, dass Paare, die sich besonders ähnlich sehen, auch viel Positives über ihre Ehe berichten.

ZEIT Doctor 10/2019

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Ähnliche Effekte erzeugt die Beziehung von Kindern zu Geschwistern und Eltern: Während sie aufwachsen, verbringen Kinder meist sehr viel Zeit mit Familienangehörigen, teilen ihre Erfahrungen und Gefühle und ahmen so auch ihre Gesichtsausdrücke nach. Ähnlichkeiten sind also nicht ausschließlich eine Sache der Gene, sondern entwickeln sich auch durch jahrelanges Mimikry.

2. Menschen suchen sich ähnliche Partner

Wenn sich Menschen in langjährigen Partnerschaften immer ähnlicher sehen: Heißt das, dass sie sich auch im Wesen immer mehr gleichen? “Dafür, dass sich die Persönlichkeiten in Partnerschaften ähnlicher werden, haben wir über einen kurzen oder mittelfristigen Zeitraum bislang keine Belege gefunden”, sagt Beatrice Rammstedt, Professorin für Psychologische Diagnostik an der Universität Mannheim. “Mir ist keine Studie bekannt, die das mit einem umfassenden Datensatz langfristig untersucht hat. Trotzdem finden wir Ähnlichkeiten. Und das deutet darauf hin, dass man sich einen Partner aussucht, der einem in bestimmten Persönlichkeitsfacetten bereits ähnlich ist.” (Personality and Individual Differences: Rammstedt et al., 2013, pdf)

In der Psychologie wird das, was eine Persönlichkeit ausmacht, oft anhand des Modells der sogenannten Big Five beschrieben: Betrachtet werden Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Offenheit für Erfahrungen, Geselligkeit und Neurotizismus (also die Neigung zu emotionaler Labilität, Ängstlichkeit und Traurigkeit). Diese Hauptmerkmale von Persönlichkeiten werden sich im Verlauf von Partnerschaften meist nicht ähnlicher, sagt Rammstedt.

Eine Studie von 2010, die über 1.200 verheiratete Paare betrachtete, beobachtete jedoch, dass sich die Persönlichkeiten von Eheleuten in einem einzigen Punkt tatsächlich aneinander angleichen (Personality and Individual Differences: Humbad et al., 2010, pdf): Unter Umständen wird das Maß ihrer Aggressivität auf Dauer ähnlich – möglicherweise, weil die andauernde Aggression des einen früher oder später auch aggressive Reaktionen des anderen hervorruft.

Beatrice Rammstedt warnt aber vor Schlussfolgerungen: “Es handelt sich um eine relativ kleine Stichprobe und die Autoren deuten an, dass es ein Zufallsbefund sein könnte.”

3. Der Sprachfluss gleicht sich an

Und was ist mit Angewohnheiten, die Individuen von anderen übernehmen? Benutzen Menschen etwa früher oder später dieselben Fremdwörter? Gleichen sie ihre Sprachmelodie der ihres Gegenübers an? Wer sich dieser Frage nähert, wird zwangsläufig mit Schwierigkeiten konfrontiert: beispielsweise mit dem Einfluss von Alter und Bildung.

Eine Studie von 1995 zeigte zum Beispiel, dass die Wortflüssigkeit, ein Bestandteil von Intelligenztests, bei Ehepaaren beim weniger kompetenten Partner zunahm. Eine besonders hohe Wortflüssigkeit macht sich dadurch bemerkbar, dass die Wörter aus einem Menschen nur so heraussprudeln, wenn er beispielsweise aufgefordert wird, Adjektive zu nennen (Journal of Personality and Social Psychology: Gruber-Baldini et al., 1995).

Der Effekt war subtil. Und das scheint etwas zu sein, das sich durch die Forschung dazu, wie sich die Sprache angleicht, hindurchzieht. Eine Studie, die Zweierwohngemeinschaften über einen Zeitraum von wenigen Monaten begleitete, fand heraus, dass sich die Intonation der Partner leicht anglich (Journal of Phonetics: Pardo et al., 2012). Die Ergebnisse legten außerdem nahe, dass die Angleichung dann besonders stark war, wenn die Mitbewohner angaben, sich sehr nahe zu sein.

Auch in Alltagssituationen übernehmen Menschen häufig die Intonation des Gegenübers. Während der Effekt bei Männern eher stabil ist, hängt er bei Frauen von einer Vielzahl von Faktoren ab: Ist der Gesprächspartner eine Frau oder ein Mann, und ist er oder sie ein Vorgesetzter oder eine Freundin (Journal of Phonetics: Pardo et al., 2018).

4. Freunde lösen Vorurteile auf

Welchen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit es haben kann, mit wem Studierende zusammenwohnen, zeigt eine Studie mit 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern über einen Zeitraum von fünf Jahren (Journal of Experimental Social Psychology: Van Laar et al., 2005). Haben Studierende etwa Mitbewohnerinnen oder Mitbewohner mit anderem ethnischen Hintergrund, führt das nicht nur zum Abbau von Vorurteilen gegenüber diesen konkreten Personen, sondern generell gegenüber sogenannten Fremdgruppen (auf Englisch: outgroups). Eine ähnlich aufgeschlossene Haltung am Ende des Studiums wurde Studierenden nachgewiesen, die Freundschaften zu Kommilitoninnen und Kommilitonen anderer ethnischer Herkunft gepflegt hatten (Group Processes & Intergroup Relations: Levin et al., 2003).

5. Zwei Frauen, zwei Zyklen

Seit Langem hält sich die Annahme, dass sich, wenn Frauen zusammenwohnen, früher oder später ihre Monatszyklen synchronisieren. Auch die Studie der US-amerikanischen Psychologin Martha McClintock kam 1971 zu diesem Ergebnis (Nature: McClintock 1971): Die Forscherin untersuchte 135 Bewohnerinnen eines Studierendenwohnheims über einen Zeitraum von sieben Monaten hinweg und zeigte, dass die Frauen jeweils mehr oder weniger gleichzeitig zu menstruieren begannen. Als Auslöser vermutete McClintock die Pheromone, die der weibliche Organismus abgibt, Duft- und Botenstoffe, die den Stoffwechsel anderer Individuen beeinflussen.

Inzwischen gilt der sogenannte McClintock effect jedoch als so gut wie widerlegt. Zahlreiche Studien konnten das Ergebnis von 1971 nicht erneut nachweisen (Journal of Sex Research: Harris & Vitzthum, 2013) – ob unter chinesischen Studentinnen (Human Nature: Yang & Schank, 2001) oder Userinnen der App Clue.

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