/Horst Seehofer: Innenminister verteidigt Abschiebung von angeblichem Amri-Helfer

Horst Seehofer: Innenminister verteidigt Abschiebung von angeblichem Amri-Helfer

Die Abschiebung des angeblichen Helfers des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri war nach Kenntnisstand der Behörden rechtens. “Durch die Ermittlungen konnte der Nachweis nicht erbracht werden, dass Ben Amar an der Tat des Anis Amri beteiligt war”, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf einer Pressekonferenz. “Nach zwei Vernehmungen des Ben Amar als Beschuldigter lagen keine
Ansatzpunkte dafür vor, dass er zur Aufklärung des Anschlags hätte
beitragen können oder wollen”, sagte Seehofer.

Ben Amar wurde am 1. Februar 2017 abgeschoben. Sein Aufenthaltsort ist laut Innenministerium nicht bekannt. Auch lägen den Behörden keine Erkenntnisse dazu vor, dass Ben Amar “für oder mit einem marokkanischen Nachrichtendienst in irgendeiner Form arbeitete”, sagte Seehofer.

Der Fall des kurz nach dem Anschlag in Berlin abgeschobenen Tunesiers Bilal Ben Ammar gab zuletzt immer neue Rätsel auf. Anis Amri tötete am 19. Dezember 2016 zwölf
Menschen. Mehr als 70 weitere Menschen wurden verletzt, als der
tunesische Islamist mit einem gestohlenen Lastwagen auf den
Weihnachtsmarkt raste. Ben Ammar war am Vorabend des Anschlags mit Amri in einem Lokal gesehen worden.

Was hat es mit dem Fall des mutmaßlichen Amri-Helfers auf sich?

In der vergangenen Woche hatte der Focus berichtet, dass Amri
einen Helfer gehabt habe. Möglicherweise handele es sich um seinen
Vertrauten Bilel Ben Ammar, der wenige Wochen nach dem Attentat nach
Tunesien abgeschoben worden sei.

Laut Focus erfolgte die
Abschiebung, um Ben Ammar vor Strafverfolgung zu schützen, weil er ein
Informant des marokkanischen Geheimdiensts gewesen sei. Das
Bundesinnenministerium datierte die Abschiebung auf Anfang 2017. Es wird
nun erwogen, Ammar trotz seiner Abschiebung vom
Amri-Untersuchungsausschuss im Bundestag vernehmen zu lassen – etwa in
Tunesien per Video.

Aus den Ermittlungsakten zu Ben Ammar geht zudem hervor, dass dem
Bundeskriminalamt (BKA) einige Details wohl erst bekannt wurden, nachdem
er abgeschoben worden war. Unter anderem fand das BKA bei der Auswertung
der Daten auf einem Handy Ben Ammars ein Foto von einem Boarding-Pass
für einen Flug von Berlin-Schönefeld nach Nizza. Aufgenommen wurde das
Bild am 7. Juli 2016. Die Bordkarte lautete nicht auf den Namen Ben
Ammar, sondern auf den Namen Oueslati Mohammed Belaid. In einem Vermerk
der Polizei heißt es,
Ben Ammar sei nach Frankreich gereist, “wahrscheinlich unter Verwendung
der fiktiven Personalie ‘Oeslati Mohamed Belaid'”.

Nicht
abschließend geklärt ist die Frage, ob sich Ben Ammar am 14. Juli 2016
in Paris oder in Nizza aufhielt. In der südfranzösischen Hafenstadt
raste an diesem Tag ein aus Tunesien stammender radikaler Islamist mit
einem Lastwagen über einen Boulevard – er tötete 86 Menschen. Bei der
Auswertung der Handydaten von Ben Ammar stieß man auf Fotos, die ihn
mit Bekannten in Paris zeigen. Eine dieser Aufnahmen wurde
wahrscheinlich am 10. Juli 2016 gemacht, eine zweite am 15. Juli.

Was lief aufseiten der Behörden schief im Fall Amri?

Offenbar
eine Menge: In Berlin und Baden-Württemberg war er gleich mehrfach
unter verschiedenen Identitäten als Flüchtling gemeldet. Dennoch wurde
der Tunesier den Sicherheitsbehörden bekannt als islamistischer
Gefährder. Kein anderer Islamist wurde im Gemeinsamen
Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern (GTAZ) so intensiv besprochen
wie Amri. Dennoch versäumten es die Behörden von Nordrhein-Westfalen, ihn abzuschieben.

Anders als lange angegeben, lagen die für eine Abschiebung benötigten Handflächenabdrücke Amris vor. In Berlin wiederum wurde eine mögliche Festnahme verpasst – weil Amris
Überwachung aus unklaren Gründen eingestellt wurde und seine Aktivitäten als Drogenhändler keine strafrechtlichen Konsequenzen hatten.

Der
Präsident des Berliner Landeskriminalamts (LKA), Christian Steiof, sah
sich erst kürzlich zu einem vernichtenden Urteil über die Zusammenarbeit
der Behörden genötigt. Er sprach von “fatalen handwerklichen Fehlern”.
Es sei “alles schiefgegangen, was schiefgehen kann an Kooperation”.

Haben die Behörden ihr Versagen vertuscht?

Es gab immer wieder Vorwürfe, die zuständigen Behörden wollten ihr Versagen im Fall Amri
auch noch vertuschen. Einem Pressebericht aus dem
vergangenen Jahr zufolge versuchte die Spitze des
Bundesverfassungsschutzes 2017, einen im Umfeld von Amri platzierten V-Mann zu verheimlichen.

In
einem behördeninternen Vermerk zur Vorbereitung eines Treffens des
damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen mit dem
Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) im März 2017 habe es
geheißen, ein Öffentlichwerden des Quelleneinsatzes solle vermieden
werden. Weiter soll es in dem Vermerk geheißen haben: “Ein weiteres
Hochkochen der Thematik muss unterbunden werden.”

Die Sache ist deshalb von Brisanz, weil der Bund stets den Eindruck erweckt hatte, es habe gar keinen V-Mann im Umfeld Amris gegeben.

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