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Wohnen: Wir brauchen ein Recht auf Paläste

Immobilienpreise, Mietwucher und Quadratmeter: Darum drehen sich die oft die Diskussionen, wenn es um die Entwicklungen im Wohnungsmarkt geht. Der Philosoph Ludger Schwarte plädiert dafür, das Thema in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und über das gute Wohnen nachzudenken. Er lehrt Philosophie an der Kunstakademie Düsseldorf mit den Schwerpunkten Ästhetik,
politische Philosophie und Kulturphilosophie. Sein Gastbeitrag ist Teil eines Schwerpunkts zum Thema Wohnen.

Angemessener Wohnraum
ist ein Menschenrecht: Artikel 25 der UN-Menschenrechtskonvention sichert
schließlich jedem Menschen “das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und
seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung,
Kleidung, Wohnung”. Für viele Obdachlose geht es allerdings zunächst einmal
darum, überhaupt das Recht auf eine Wohnung zu erkämpfen. Bevor Datenautobahnen, Weltraumteleskope und
Geheimdienstzentralen gebaut und Panzer oder aufwändige Rechenzentren
angeschafft werden, muss gewährleistet sein, dass niemand frierend auf der
Straße lebt.

Mit wem und wie wollen wir wohnen?

Ein erster
Schritt zur Linderung der Wohnungsnot wäre die Enteignung. Es ist nicht
einzusehen, warum für Autobahnen Gärten und Häuser enteignet werden können,
aber zur Lösung des viel dringenderen Wohnproblems nicht. Wichtiger aber noch
als die Sicherung von Grundflächen durch Enteignung und Umnutzung ist jedoch
ein Ausblick auf langfristige und gerechte und in diesem Sinne angemessene
Wohnformen. Angesichts der
Wohnungsnot, der Preissteigerungen und der Gentrifizierung der Städte müssen
wir uns genauer fragen: Wo, wie und mit
wem wollen wir wohnen? Gibt es gar eine neue Idee des Wohnens? Und was sind die Voraussetzungen und Ziele
zukünftiger Architektur? 

Die fortschreitende Industrialisierung
und der Massenwohnungsbau haben dazu geführt, dass die Stätten der Produktion,
die Fabriken, aber auch das Wohnen in die Vorstädte verlagert wurden. Verbunden
mit überfüllten Transportwegen führt dies für die meisten Menschen zu einem Ausschluss
vom städtischen Leben. Schon der Philosoph Henri Lefebvre hat aus dieser
Beobachtung ein “Recht auf Stadt” und auf eine Architektur der Genüsse abgeleitet.
Anstatt sich nach der Arbeit in Schachteln oder Wohnmaschinen einschließen zu
lassen, die wiederum denselben Oligarchen gehören wie die Unternehmen, forderte
er, dass die städtischen Qualitäten kollektiv genutzt und gestaltet werden. Aber
wie lässt sich diese Forderung auf die kollektive Gestaltung von Wohnqualität
übertragen? 

Wir erleben eine
Krise des Wohnens nicht nur, weil Wohnungen für viele nicht bezahlbar sind,
sondern auch, weil die aktuellen Wohnformen oft ein gutes, selbstbestimmtes und
gemeinsames Leben verhindern. Die Innenstädte beherbergen immer kleinere Wohnungen,
meist Singlewohnungen. Diejenigen, die sich größere Wohnungen leisten können, nutzen
diese oft gar nicht, so dass ganze Stadtviertel verwaist wirken. Wohn- und
Shoppingghettos hier, Fabrik- und Bürosilos dort. Dazwischen, auf dem Boden,
die Obdachlosen, in der Luft die Profiteure. Soziale Beziehungen sind oft nur
noch in zugleich prekärer, technifizierter und kommerzialisierter Form möglich.
Begegnungen zwischen den Wohnungen finden in elektronischer Form statt, als
Teil einer Selbstvermarktung und in den Formaten, die Konzerne verkaufen.

Je höher die Sicherheit, desto größer die Isolation.

Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass Wohnungen zur Ansammlung und Verwaltung
von Privatbesitz vor allem nach Maßstäben der Sicherheit errichtet werden. Je
höher die Sicherheit, desto größer ist jedoch auch die Isolation. Je perfekter
das Wohnhaus, desto weniger erlaubt es Formen unvorhergesehener Begegnung,
lebendiger Kommunikation oder spontaner Kooperation. Immer häufiger entstehen
so Wohnräume, die – bewusst oder unbewusst – gemeinschaftliche Erlebnisse
blockieren.

Es gibt erniedrigende Architektur und erhebende, an der Menschen über sich
hinauswachsen können. Durch
Gebäude, so formulierte es einmal der Philosoph Georges Bataille, versuchen die
Menschen, ihrem Tiersein zu entkommen; doch sie bleiben Affen, wenn es ihnen
nicht gelingt, durch die Gebäude zur Sprache zu kommen.

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