/Sandra Hüller: “Jeder Abend ist ein Sprung in ein unbekanntes Gewässer”

Sandra Hüller: “Jeder Abend ist ein Sprung in ein unbekanntes Gewässer”

“Penthesilea” – das
ist, stark heruntergebrochen, die Geschichte einer Amazone, die sich in den
Krieger Achill verliebt, und er sich in sie. Was beide vor gewaltige
Probleme stellt. Aus dem Drama von Heinrich von Kleist hat Regisseur Johan
Simons ein Zweipersonenstück gemacht, mit dem Jens Harzer und Sandra Hüller
bei den Salzburger Festspielen frenetisch gefeiert wurden. Jetzt kommt die
Produktion nach Hamburg
, das Thalia Theater war neben dem Schauspielhaus Bochum Co-Produktionspartner. Sandra Hüller kennt das Thalia Theater noch aus einer
früheren Produktion. Leichter macht das aber nichts.  

ZEIT ONLINE: Die Premiere von Penthesilea bei
den Salzburger Festspielen wurde sehr euphorisch besprochen, ebenso in
Bochum. Spüren Sie, mit welcher Erwartung das Hamburger Publikum dem Abend
begegnet?

Sandra Hüller: Gar nicht mal so sehr, zum Glück. Ich
habe vorhin erfahren, dass es für die erste Vorstellung fast keine Tickets mehr
gibt. Das finde ich bemerkenswert, es ist ja ein großes Haus mit ungefähr 1.000 Plätzen. Es ist sogar fast beängstigend. Aber das ist das Einzige,
woran man es merkt. 

ZEIT ONLINE: Spüren Sie auf der Bühne einen
Unterschied, in welcher Stadt Sie spielen?

Hüller: Man spürt, ob man die Leute im
Publikum erreicht, und ob sie sich erreichen lassen. Und man spürt auch, ob sie
sich auf den Abend freuen oder nicht. Jeder Raum ist anders, jedes Publikum ist
anders. Hamburg ist auch einfach eine Nummer größer als die Städte und Häuser,
in denen wir vorher gespielt haben. Das ist toll, aber es beschäftigt mich
auch.

“In alten Gemäuern spielt es sich leichter”

ZEIT ONLINE: Geht das denn überhaupt so einfach
– ein Stück, das Sie an einem bestimmten Haus in einer bestimmten Stadt
erarbeitet haben, in eine neue Umgebung umzutopfen?

Hüller: Einfach ist es nicht. Das Bühnenbild
ist natürlich so konzipiert, dass man es relativ einfach transportieren und auf
einer anderen Bühne aufbauen und nutzen kann – das Stück war ja von Anfang an
als Koproduktion dreier Häuser geplant. Aber jeder Abend ist ein Sprung
in ein unbekanntes Gewässer. An Hamburg habe ich eine besondere
Erinnerung. Ich habe hier mal eine Medea gespielt. Das war sehr, sehr toll, weil der Blick von der Bühne in den Zuschauerraum so berauschend schön ist.
Aber der Abend verändert sich natürlich ständig, weil wir uns ja auch verändern
– je nachdem, wer uns gegenübersitzt. In Bochum ist Jens Harzer jedes Mal
angereist, ich reise auch an, wir wissen nicht, woher wir kommen, was vorher
war, wie müde wir sind. Wir wissen nicht, ob wir uns auf der Bühne begegnen
werden, ob wir den richtigen Ton treffen, ob wir uns trauen, aufzumachen. Und
wir wissen nicht, wie sich der Raum anfühlt. Ich finde, in älteren
Gemäuern spielt es sich leichter, weil da schon so viel passiert ist. Das reflektiert
auf uns zurück.

ZEIT ONLINE: Was meinen Sie, wenn Sie sagen, Sie
wissen nicht, ob Sie einander auf der Bühne begegnen werden?

Hüller: Man kann ja durchaus miteinander
spielen, ohne in Kontakt zu kommen, ohne eine Verbindung zu haben. Bisher haben
wir’s immer geschafft.

ZEIT ONLINE: Was Jens Harzer und Sie auf der Bühne
zeigen, ist auch das Ergebnis eines langen Arbeitsprozesses. Wie sah der Anfang
aus?

Hüller: Wir hatten, bevor wir auf die Bühne
gegangen sind, eine sehr lange Textprobenphase. Im Original begegnen einander
Penthesilea und Achilles ja nur in einer Szene. Die übrigen Textteile sind
eigentlich Passagen, in denen über sie gesprochen wird, oder sie sprechen mit
anderen über den anderen. Das ist jetzt alles in unsere Münder gelegt. Wir
haben also immer wieder gelesen, abgeglichen und hinterfragt, um
herauszufinden, wie weit die Übertragung funktioniert und wo die Knackpunkte
liegen. Als wir dann auf der Bühne standen, waren unsere Gedanken schon so
klar, dass alles Weitere fast wie von allein aus uns herauskam. Dabei half
sicher auch die Sprache, die sehr körperlich ist.

ZEIT ONLINE:
Körperliche Sprache – das müssen Sie erklären.

Hüller: Die Art, wie Heinrich von Kleist schreibt und welche
Art von Vers er benutzt, gibt schon vor, wie der Körper sich dazu verhält. Die
Schlachtszenen am Anfang sind sehr rasant und sprunghaft geschrieben, das sind
endlose Wurmsätze mit vielen Kommas, die, wenn man sie so spricht, wie sie da
stehen, zu einer Atemlosigkeit führen, gegen die man sich gar nicht wehren
kann. Im zweiten Teil, wenn Penthesilea und Achilles wirklich miteinander
sprechen, steht dagegen ein ganz ruhiges Versmaß, das sich auch anfühlt wie ein
Gespräch oder sogar ein Gedicht. Da macht es Kleist einem sehr leicht, damit
umzugehen.

ZEIT ONLINE: Macht es das auch leichter, die
Unmengen an Text im Kopf zu behalten?

Hüller: Das ist eine Aufgabe für sich, mal
sehen, wie lange mein Gehirn das noch mitmacht. Obwohl, es stimmt: Die Sätze
sind so gebaut, dass jedes Wort zwingend auf das vorherige folgt, man könnte
nicht einfach anders weitermachen. Sogar die Füllwörter sind genau platziert. Wenn man eines weglässt, fällt das ganze Kartenhaus zusammen. Insofern: Ja, es
gibt viele, viele eingebaute Anker. Obwohl ich nicht glaube, dass Kleist beim
Schreiben daran dachte, es irgendjemandem leichter zu machen. Die größte Hürde
ist aber natürlich, dass wir auf der Bühne alleine sind. Und dass wir auch
nicht wie bei einem Pollesch-Abend zur Souffleuse gehen und fragen können, wie
geht’s denn weiter?

ZEIT ONLINE: Mit welchem Gefühl endet der Abend für
Sie? Mit Erleichterung?

Hüller: Eher mit einer großen Leere. Das
liegt auch am Stück. Am Ende liegen da zwei tote Menschen, es gibt keine
Erlösung oder Moral, die man mit nach Hause nehmen könnte. Ich bin danach
einfach erschöpft – und ich glaube, das ist auch völlig normal. Da gibt es gar
nichts zu diskutieren. 

Dies ist ein Artikel aus dem Hamburg-Ressort der ZEIT. Hier finden Sie weitere News aus und über Hamburg.

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