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Nordkorea: Eine Frage der Zeit

Kim Jong Un muss sich dieser Tage wie ein Glückskind vorkommen. Zum zweiten Mal binnen weniger Monate hat sich der amtierende US-Präsident nach Asien begeben, um den nordkoreanischen Führer “von gleich zu gleich” zu treffen – und Ersterer glaubt offenbar ernsthaft daran, Letzterer ließe sich den Nuklearstatus seines Landes durch Sanktionserleichterungen und ausländische Wirtschaftshilfen abkaufen. Kim Jong Un kann sich seiner Bevölkerung nun umso mehr als Genie präsentieren, das international als Herrscher einer Nuklearmacht hofiert wird und zu Hause “alles aus eigener Kraft und Verdienst” zum “Wohle des Volkes” vollbringt. So hat er hat die Lebenswerke seines Großvaters Kim Il Sung und seines Vaters Kim Jong Il durch das Erreichen des Status seines Landes als Nuklearmacht mit dem Nimbus der militärischen Unbesiegbarkeit und Abschreckung äußerer Gegner gekrönt.

Doch welchen Weg hat dieses von außen so abgeschottete und schwer begreifliche Land, die Koreanische Demokratische Volksrepublik (KDVR, um die nordkoreanische Eigenbezeichnung zu verwenden), bis zu diesem Punkt heute eigentlich zurückgelegt?

Die KDVR wurde am 9. September 1948 in Pjöngjang proklamiert. Sie war gleichsam ein Kind der revolutionären Sowjetunion und ihrer militärischen Okkupation der nördlichen Hälfte der koreanischen Halbinsel nach dem Abzug der einstigen japanischen Kolonialmacht im Zuge deren Kapitulation von 1945. Der in der Sowjetunion ausgebildete junge Partisanenführer Kim Il Sung wurde Vorsitzender der 1949 gebildeten Partei der Arbeit Koreas (PdAK), einer marxistisch-leninistischen Kaderpartei nach dem Muster der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Damit begann der Weg zu einer einzigartigen Machtkonsolidierung von Kim Il Sung und seiner Familie und zur Errichtung einer idiosynkratischen dynastischen Diktatur, die früh nach dem Besitz von Nuklearwaffen strebte und ihn vor wenigen Jahren schließlich erreichte.

Im Koreakrieg zwischen 1950 und 1953 hat Nordkorea die Erfahrung machen müssen, dass man einerseits völlig wehrlos amerikanischem Bombardement ausgesetzt und andererseits existenzabhängig von der Unterstützung der Sowjetunion und China war. Kim Il Sung zog daraus die Schlussfolgerung, dass er seine Macht nur behaupten könne, wenn er sein eigenes Militär ausbauen und der Bevölkerung als unbesiegbar darstellen würde – und gleichzeitig notwendige ausländische Hilfe heimlich annähme, aber öffentlich ignorierte oder “koreanisierte”. Kim stilisierte sich selbst zum philosophischen wie militärischen Genie und seine Herrschaft zur permanenten Wohltat für das Volk, die “alles aus eigener koreanischer Kraft” und ein in der ganzen Welt beneidetes System erschuf.

Nationalistische Pseudoideologie

Es fällt im Nachhinein schwer, in diese nationalistische Pseudoideologie mehr hineinzulesen als das, was sie war und bis heute ist: ein Vehikel, um eine angeblich erfolgreiche absolute Herrschaft des Führers gegenüber seinen Untertanen als dessen alleiniges Verdienst zu propagieren und zu legitimieren. Loyalität zum Herrscher, seiner Familie und seinen handverlesenen Offiziellen bestimmt das Maß des Lebensstandards und das Residenzrecht an privilegierten Orten.

In Korea hatte vor der Unabhängigkeit 1945 tatsächlich gar keine kommunistische Bewegung existiert. Während die japanische Armee damals nach 35 Jahren Kolonialherrschaft über Korea entwaffnet und die japanische Bevölkerung aus Korea nach Japan zurückgesiedelt wurde, strömten koreanische Exilpolitiker und Partisanen aus China, der Sowjetunion, der Mandschurei, Japan sowie aus westlichen Staaten zurück auf die Halbinsel. Bereits im August 1945 hatten sich die USA und die UdSSR darauf geeinigt, Korea entlang des 38. Breitengrades provisorisch zu teilen. Im Norden baute der von der Sowjetunion protegierte junge Partisanenführer Kim Il Sung mit repressiven Methoden eine Volksrepublik nach sowjetischem Muster auf; im Süden bildete der proamerikanische Nationalist und Antikommunist Syngman Rhee einen autoritären Staat unter seiner Führung. Vereinbarungsgemäß zogen 1948 im Zuge der jeweiligen Staatengründung die sowjetischen Truppen aus dem Norden und die amerikanischen aus dem Süden der Halbinsel ab.

Damit stand ein sozialistischer Einheitsstaat im Norden mit dem Anspruch, ganz Korea unter seiner Ägide zu vereinen, einer autoritären Republik im Süden mit demselben Anspruch gegenüber, die jedoch ein kommunistisches Sympathisantenpotenzial im Innern besaß. Militärisch war der Norden dem Süden bereits überlegen, als Anfang 1949 Kim Il Sung Stalin zum ersten Mal um seine Zustimmung zu einer kriegerischen Intervention bat. Kim ging von einem leichten und schnellen Sieg aus, da nordkoreanische Truppen sich mit den kommunistischen Guerillas im Süden verbünden könnten. Stalin lehnte jedoch ab, weil er den Norden als noch nicht stark genug ansah – vor allem aber, weil er eine Rückkehr des amerikanischen Militärs befürchtete, das aufseiten des Südens hätte kämpfen können. In der Folgezeit wurde die Koreanische Volksarmee mit sowjetischer Hilfe deutlich aufgerüstet, so dass sie 1950 den südkoreanischen Streitkräften noch viel weiter überlegen war. 

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