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Gipfeltreffen: Marktwirtschaft für den Diktator

Die vietnamesische Hauptstadt Hanoi stand erst wenige Tage als
Gipfelort fest, da hängten die ersten Straßenhändler schon neue T-Shirts
an ihre Stände. Die Konterfeis von US-Präsident Donald Trump und
Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un sind darauf zu sehen, darunter steht
in großen Lettern: Peace. Umgerechnet vier Euro kostet das Stück,
Touristen greifen gerne zu und auch die Tausenden Journalistinnen und Journalisten, die jetzt
für den Gipfel angereist sind
.

Eine solche Geschäftsmöglichkeit lässt man in Vietnam nur ungern
verstreichen. Laut einer Umfrage des amerikanischen
Meinungsforschungsinstitutes Pew unterstützen mehr als 90 Prozent der
Vietnamesen ein marktwirtschaftliches System – so viele wie in keinem
anderen Land weltweit. Die wirtschaftsliberalen Reformen des offiziell weiterhin
sozialistischen Landes haben vielen Vietnamesen und Vietnamesinnen zu einem bescheidenen
Wohlstand verholfen
.

Die Amerikaner haben Vietnam nicht zufällig als Gipfelort ausgewählt.
US-Außenminister Mike Pompeo forderte Nordkorea bereits vergangenes
Jahr dazu auf, den vietnamesischen Weg zu gehen. Trump persönlich
versprach, Nordkoreas Wirtschaft werde abgehen wie eine Rakete, sollte
sich Nordkorea gegen die Bombe entscheiden. Und für die Transformation
eines verarmten Pariastaates in einen weltweit vernetzten Emporkömmling
ist Vietnam das perfekte Beispiel.

Wirtschaftswachstum von sechs Prozent

“Nordkorea könnte viel von Vietnam lernen”, sagt Khuong Minh Vu, ein
ehemaliger vietnamesischer Beamter, der mittlerweile Politikprofessor
an der Lee Kuan Yew School of Public Policy in Singapur ist. Vietnam
habe seine Planwirtschaft erfolgreich in eine marktwirtschaftliche
umgewandelt und vorbildlich von der Globalisierung profitiert. Für Kim dürfte Vietnam aber auch deswegen ein interessantes Modell
sein, weil in Vietnam alle Macht weiterhin bei der Partei liegt. “Die
Führung bezieht ihre Legitimation aus dem wirtschaftlichen Erfolg”, sagt
Khuong Minh Vu.

Die ökonomischen Eckdaten Vietnams sind in der Tat beeindruckend: In
den vergangenen Jahren wuchs die Wirtschaftsleistung des Landes jedes
Jahr um rund sechs Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen steigerte sich in
weniger als 25 Jahren von weniger als 200 US-Dollar auf mehr als 2.500
US-Dollar. Das Land mit rund 100 Millionen Einwohnern ist für viele
Unternehmen ein alternativer Produktionsstandort für China geworden –
auch dank der dort noch günstigen Löhne. Mit dem Aufschwung hat die
Ungleichheit zwar stark zugenommen. Die Armut ist insgesamt aber
drastisch gesunken.

Hanoi ist heute deswegen eine Stadt der zwei Welten: Über die
verstopften Straßen drängeln sich fette SUVs durch Tausende Motorroller. Dazwischen transportieren alte Frauen auf Fahrrädern ihre Waren zum
Verkaufsstand – genauso wie sie es vor 30 Jahren gemacht haben. Nur
wenige Meter entfernt von luxuriösen Kaufhäusern mit westlichen
Konsumartikeln und McDonald’s- oder Starbucks-Filialen hängt weiterhin
sozialistische Parteipropaganda. Die Zeichnungen könnte man wohl ohne Weiteres auch in Nordkorea aufhängen.

Zwischen den beiden Staaten gibt es gleich mehrere Parallelen: Wie
heute Nordkorea war Vietnam über viele Jahre hinweg international fast
komplett isoliert. Während Nordkorea für seine nuklearen Ambitionen
bestraft wird, hatte Vietnam nach Kriegen mit China und davor den USA kaum
Verbündete. Nur die Sowjetunion war lange ein Partner – doch die wurde
in den Achtzigerjahren politisch und wirtschaftlich zunehmend schwächer.

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