/“Ein liebendes, treues Tier”: Freiheit war eine grüne Corvette

“Ein liebendes, treues Tier”: Freiheit war eine grüne Corvette

Geschwister
sind diese Personen, für die man sich nie freiwillig entschieden hat. Mal sind
sie Verbündete, mal die ärgsten Feinde. Man teilt mit ihnen oft Elternteile und
Wohnorte. Ab und zu auch Haustiere. Und sollten diese zerfleischt worden sein,
sind es meist die eigenen Geschwister, mit denen man im Garten die Überreste
aufliest. So jedenfalls beginnt das Debüt von Josephine Rowe. Ein liebendes, treues Tier ist nun in deutscher Übersetzung erschienen.

Platziert hat die
Autorin, 1984 in Queensland geboren, ihre Geschichte in den Südwesten
Australiens. Dort wohnen die Burroughs in einem heruntergekommenen Haus und haben
eine Menge Unglück. Der Vater hat im Vietnamkrieg gekämpft und deswegen ein
Trauma. Seine Frau hat sich über die Jahre damit
abgefunden, dass er sie regelmäßig zusammenschlägt.
Auch an den beiden Kindern geht die kaputte Ehe ihrer Eltern nicht spurlos
vorbei. Die jüngste Tochter zieht sich zurück und fürchtet sich vor den
Gespenstern im Kopf ihres Vaters; die Teenagertochter vertickt seine
Beruhigungspillen auf Partys. Jetzt ist der Hund tot, der Vater verkraftet den
Verlust nicht und läuft, wie so oft schon, weg. Diesmal aber wahrscheinlich für immer. 

Das Unglück zeigt sich im Vergleich

Bezeichnend ist, wie Rowe ihre Geschichte erzählt. Jeder Charakter bekommt ein eigenes Kapitel, eine eigene
Sprache und eine eigene Perspektive. Die vom Leben geplagte Mutter Evelyn erinnert sich an die viel besseren Sommer, ihre viel besseren Haare und
ihren viel besseren Körper. Die grüne Corvette, mit der sie aus dem
Elternhaus floh, stand mal für Freiheit. Ihrer Schwester war sie deswegen ein
Vorbild. Jahrzehnte später hat sich das Blatt gewendet. Die eine ist arm, die
andere bessergestellt. Das Unglück zeigt sich vor allem im Vergleich. Die zwei
haben sich Kindheit geteilt, definieren sich als Erwachsene aber über
Unterschiede. Es ist eins von drei Geschwisterpaaren, die sich im Roman
gegenseitig als Maßstab dienen. Wofür Evelyn sich vor ihrer Schwester schämt: “Was alles kaputt ist. Was fehlt, wahrscheinlich versetzt wurde. In welchem Zustand das Haus ist. Wie verwildert die Mädchen sind. Wie ungemäht das Gras, wie vereist das Tiefkühlfach. Und die Tassen. Die Tassen auf jeden Fall.” Neben körperlicher Gewalt schreibt Rowe über
dieses sanfte Brutale im Zwischenmenschlichen, das ihre Figuren verzweifeln
lässt.

Die Hoheit über
die Erzählung bekommen die Charaktere aber nicht. Evelyn ist nie nur Schwester,
sondern in den Augen der anderen auch Mutter, Schwägerin oder Ehefrau. Und aus
deren Perspektive ist sie nicht nur leidtragend, sondern wird auch zur
Verantwortung gezogen für die Entscheidungen, die sie getroffen hat. Eine ihrer
Töchter bestärkt sie im Versagertum. Warum hole sie ihren Mann immer wieder zurück, da er sie doch nur schlage? Die andere
Tochter zeichnet ein zärtlicheres Bild. Da wird die Telefonstimme der Mutter bewundert,
“die immer zum Einsatz kommt, wenn sie Respekt einfordert”, oder wie sie im
Garten mit den Kaninchen streitet. Das Bild, das man am Ende von Evelyn
bekommt, wird nuancierter. Jede der Figuren verharrt nicht in der eigenen Perspektive, sondern wird auch von anderen erzählt.

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