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Aufräumen: Die Schublade als Schamgebiet

Seit Anfang des Jahres zeigt die Japanerin Marie Kondo in der Netflix-Serie Aufräumen mit Marie Kondo, wie man erfolgreich in den eigenen vier Wänden ausmistet und aufräumt. Seitdem scheint keine Geburtstagsfeier, kein Wohnungseinweihung und keine Party zu vergehen, ohne dass darüber gesprochen wird, wie erfolgreich man gerade sein Wohnzimmer ausgeräumt, wie viele Müllsäcke man davongetragen und wie viel man gespendet habe. Mit dem gleichen Furor, mit dem in der Runde nebenan über die Europawahlen oder die Folgen eines harten Brexits gesprochen wird, debattiert man, ob Kondos Methode, Socken glatt zu streichen, sinnvoll ist oder nicht. Verschiedene Ordnungstheorien werden mit einem Eifer verglichen, als würde es um neue Ansätze zur Klimarettung oder zur Beendigung des Drogenkriegs in Mittelamerika gehen. Die am Gespräch Beteiligen – es sind meist Frauen – überbieten sich im Auf- und Ausräumfieber, ein bisschen Konkurrenzkampf bricht dabei auch aus. Es gibt sogar schon ein Ranking, das vergleicht, in welchen Bundesländern die Netflix-Serie am meisten angeschaut wird und wo es die meisten Google-Suchanfragen nach Marie Kondo gibt (1. Platz: Hamburg, 2. Platz: Berlin).

Marie Kondos drei zuvor erschienene Bücher wurden in 27 Sprachen übersetzt und weltweit über sieben Millionen Mal verkauft.  Insbesondere in Deutschland sind sie sehr erfolgreich. Wir sprechen hier nicht von packenden Thrillern oder großen Liebesromanen, sondern von Ratgebern mit Titeln wie Magic Cleaning. Natürlich wird auch dieser Hype eines Tages vorübergehen, doch es lohnt sich, zu fragen, für welchen Zeitgeist er steht. Kondo ist ja nicht die Erste, die in den letzten Jahren mit Aufräumratgebern Bestseller lanciert hat. Die Amerikanerin Karen Kingston sowie das deutsche Autorenduo Lothar Seiwert und Werner Tiki Küstenmacher haben mit Titeln wie Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags und  Simplify Your Life Kassenschlager erzielt. Der kollektive Aufräumwahn macht vor allem deutlich, wie tief das neoliberale Effizienzprinzip und Nützlichkeitsdenken schon bis in unsere Sockensammlungen und Schlafzimmer  hinein (“Was liegt bei Ihnen unterm Bett?”, fragt Kondo furchtlos)  in unser Leben Einzug gehalten haben. Die vielen Schubladen-Bekenntnisse, Schrank-Schamgebiete und Kommoden-Offenbarungen zeugen davon, wie allgegenwärtig Selbstoptimierungszwänge geworden sind. Heute reicht es schon, eine unordentliche Ecke in der Wohnung zu haben, um sich minderwertig zu fühlen.

Nichts geht mehr ohne Expertenrat

Kein Mensch wird ernsthaft behaupten, dass abgegessene Pizzakanten auf dem Sofa, Haufen von unsortierten Papieren auf dem Schreibtisch oder herumliegende Socken die Laune heben. Ein gewisses Maß an Ordnung und Übersicht in Wohnung und Büro ist selbstverständlich erstrebenswert und sinnvoll. Aber es handelt sich hierbei um etwas Selbstverständliches, nichts, was teuren Expertenrat erfordern sollte. Auch dieser Trend lässt sich seit einigen Jahren beobachten: Ob Kindererziehung oder Ehealltag – nichts geht heute mehr ohne externen Rat. Coaches haben längst den gesunden Menschenverstand – oder die früher vielleicht mit im Haus lebende Mutter oder Großmutter – ersetzt. Diese Abhängigkeit von Expertenurteilen macht jedoch unsicher, das Vertrauen in eigene Lösungsstrategien schwindet. Dass Aufräumexperten jetzt in private Wohnungen mit der gleichen Dringlichkeit wie Unternehmensberater zu halb insolventen Firmen bestellt werden, erscheint befremdlich.

Die Frage ist auch: Wer kann sich so etwas leisten? Auf Netflix wurde etwas auf die soziale Bandbreite geachtet, aber die Menschen, die Marie Kondo oder Karen Kingston ansonsten in ihre Häuser – selten sind es Wohnungen – bitten, scheinen alle eher vermögend zu sein. Da geht es um zu viele schöne Möbel im Kaminzimmer, um vollgestellte Garagen und um Gärten, die zu viel Arbeit machen. Zu viel geerbt zu haben, zu viel gekauft zu haben, das sind First-World-Probleme. Minimalismus wird zum Ideal, mit tollen Küchen und schicken, teuren Wandschränken, hinter denen alles verschwindet: Unsichtbarkeit ist die neue Luxus-Etikette. Alles soll dezent, schlicht und sauber aussehen, Understatement eben – Geld stinkt bekanntlich.

Nebenbei bemerkt: Eine zweitägige Intensivberatung bei einer nach der
KonMari-Methode ausgebildeten Beraterin kostet umgerechnet 2.600
Euro. Die kleine Einführungsrunde liegt bei 500 Euro, nicht zu
vergessen Reisekosten, wenn die Beraterin nicht in der gleichen Stadt
lebt.

Zugleich wird ein rationaler, auf Effizienz getrimmter Umgang mit den eigenen Gefühlen empfohlen: Was man nicht jetzt in diesem Augenblick ‘liebt’ oder ‘braucht’, wird gnadenlos aussortiert.

Trotz ihrem Liebreiz wirkt Marie Kondo aseptisch und zwanghaft. In der Netflix-Serie sagt eine amerikanische Mutter, bei der Kondo rigoros ausmistet, zu ihr: “Sie wirken lieb, sind aber eigentlich hart.”  In einer Einblendung wird gezeigt, wie Kondos beiden Töchter – Kleinkinder, die jüngere vielleicht anderthalb Jahre alt – schon brav ihre Kleidung nach der komplizierten KonMari-Methode falten. Erregte vor einigen Jahren die chinesische “Tiger Mom” Amy Chua mit ihrem extremen Leistungsanspruch an ihre beiden Töchter große Aufmerksamkeit, so scheinen sich die lasterhaften, schludrigen Europäer und Amerikaner jetzt an einem japanischen Aufräum-Maniac in Feengestalt zu orientieren. Was in Japan angesichts der geringen Wohnfläche, die den Bürgern dort zur Verfügung steht, noch Sinn ergibt, wirkt angesichts von geräumigen amerikanischen Villen und Altbauwohnungen in Europa weniger zwingend.

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