/Sleaford Mods: “Ich vermisse die alten Dreckslöcher”

Sleaford Mods: “Ich vermisse die alten Dreckslöcher”

Eine Band wie Sleaford Mods dürfte
eigentlich gar nicht existieren, geschweige denn erfolgreich sein. Dennoch
haben sich der Sänger Jason Williamson und der Laptop-Komponist Andrew Fearn in
den vergangenen fünf Jahren vom angetrunkenen Pöbelduo aus Nottingham zum guten
Gewissen der englischen Punkmusik aufgeschwungen. Gerade ist ihr neues Album “Eton Alive”
erschienen. Konzerte der Sleaford Mods
finden inzwischen vor bis zu 5.000 Zuschauern statt – obwohl sich weder an der
rudimentären Ausstattung ihrer Songs etwas geändert hat noch an Williamsons
herber Pissrinnenpoesie. Während des Interviews in Berlin bestellt der 49-Jährige schon am späten Vormittag den dritten Flat White des Tages. Die
Rolle des liebenswerten Prolls könnte er aber auch im Schlaf spielen.

ZEIT ONLINE: Mister Williamson,
Eton Alive ist das zehnte Album Ihrer Band, und eigentlich klingen sie
alle gleich. Gibt es eine Formel für Songs von Sleaford Mods,
auf die Sie sich immer verlassen können?

Jason Williamson: Es gibt keine
Formel, aber einen Leitspruch: It shouldn’t work. Was
wir seit gut zehn Jahren machen – und in den vergangenen fünf sogar recht
erfolgreich –, das sollte eigentlich nicht funktionieren.

ZEIT ONLINE: Zwei nicht mehr
ganz taufrische Typen aus dem englischen Niemandsland, die sich zu primitiver
Punkmusik über ihr Leben und ihre Mitmenschen auskotzen? So betrachtet sollte
das wirklich nicht hinhauen.

Williamson: Ja, und langsam
kommt der Backlash. Ich habe schon von einigen Leuten gehört, dass sie das
Wortspiel hinter dem Titel unserer neuen Platte zu offensichtlich finden.

ZEIT ONLINE: Eton ist der Name
einer englischen Eliteuni und Kaderschmiede für zukünftige Prime Minister.
Spricht man den Titel Eton Alive laut aus, klingt er wie “eaten alive”,
also “gefressen bei lebendigem Leib”.

Williamson: Es ist natürlich
eine Referenz an all die Eton-Absolventen, die uns den Brexit eingebrockt
haben.

ZEIT
ONLINE:
David Cameron, Boris Johnson …

Williamson: Mag sein, dass die
Anspielung offensichtlich ist, aber das macht sie nicht weniger zutreffend.

ZEIT ONLINE: Wollen Sie andeuten, dass Großbritannien von
den Studentenverbindungen seiner Eliteunis regiert wird? Die Reichen und
Wichtigen teilen das Land schon dort unter sich auf?

Williamson: Dieser Prozess ist
längst abgeschlossen. Schauen Sie etwa auf London: Man kann nicht einmal mehr
von Gentrifizierung sprechen. Das Thema ist durch. Die Stadt wurde komplett neu
verspachtelt. Sie ist jetzt eine einzige weiße Wand, komplett ohne
Eigenschaften.

ZEIT ONLINE: Vor ein paar
Jahren sind Sie der Labour-Partei beigetreten, weil Sie Jeremy Corbyn bei der
Wahl zum Parteichef unterstützen wollten. Dann beleidigten Sie jedoch einen
seiner Widersacher und wurden rausgeschmissen. Corbyn hat trotzdem gewonnen,
und jetzt sind die meisten Linken enttäuscht von ihm. Wie beurteilen Sie seine
Arbeit?

Williamson: Er hat es schwer.
Obwohl unser Land von Tiefpunkt zu Tiefpunkt eilt, stehen die Medien noch immer
mehrheitlich auf Seiten der Tories. Corbyn muss sich viel Quatsch anhören, aber
er ist auch selbst schuld. Eigentlich will er den Brexit ja selbst, nur nicht
zu den Bedingungen von Theresa May.

ZEIT ONLINE: War Ihnen das
bewusst, als Sie Corbyn im Labour-Wahlkampf unterstützt haben?

Williamson: Wie soll man schon
schlau werden aus den Menschen, die Tag für Tag in Westminster über das
Schicksal von England entscheiden? Die britische Politik ist wie ein geheimes
Stockwerk einer großen Fabrik. Der Zugang ist uns verboten. Niemand soll
wissen, was dort vor sich geht.

ZEIT ONLINE: Klassenkampf war
schon immer ein großes Thema in Ihrer Musik. Sleaford Mods gelten als Stimme
der abgehängten englischen working class. Trotzdem waren es
Intellektuellen- und Kunstkreise, in denen Sie zuerst entdeckt wurden. Der
inzwischen verstorbene Poptheoretiker Mark Fisher schrieb einen viel beachteten
Artikel über Sie. Auch Künstler wie Scott King und Wolfgang Tillmans zeigten
Interesse an Sleaford Mods, bevor es eine breitere Öffentlichkeit tat. Stört
Sie das eigentlich?

Williamson: Nein, denn es war
sehr lehrreich. Dieser plötzliche Hype, den Sie beschreiben, hat mir vor allem
gezeigt, dass es ziemlich viele Idioten in der englischen Kunstszene gibt. Ich
rede nicht von den Menschen, die Sie erwähnt haben, über Mark Fisher und
Wolfgang Tillmans habe ich nichts Schlechtes zu sagen. Aber ich musste auch
Leute kennenlernen, von denen ich dachte: Wow, wenn der Typ wirklich so
wichtig ist, muss es echt einfach sein, als Künstler etwas Bedeutsames zu
erschaffen. Viele kreative Menschen sind Wichser. So ist das nun mal leider.
Als der Trubel um uns begann, fand ich diese Welt auch sehr spannend. Ich fing
an, mich für Philosophie und kritische Theorie zu interessieren. Aber davon bin
ich wieder abgekommen. Ich möchte keine Szene repräsentieren, der ich nicht
wirklich angehöre. Und ich möchte kein Wichser sein.

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