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Brexit: Wie denn jetzt?

In die britische Politik kommt plötzlich Bewegung. Der Oppositionsführer Jeremy Corbyn gibt seinen Widerstand gegen eine zweite Volksabstimmung auf. Die Regierungschefin Theresa May bietet plötzlich an, dass das Parlament, wenn es am 12. März gegen den EU-Vertrag gestimmt haben sollte, spätestens am 13. März darüber abstimmen kann, ob Großbritannien die EU ohne einen Austrittsvertrag verlässt oder nicht – und spätestens am 14. März, ob die Frist bis zum Austritt “kurz und befristet” verlängert werden soll, etwa um drei Monate.

Mit all diesen Zugeständnissen verlassen die Beteiligten ihre bisher harten Positionen. Kehrt also plötzlich Vernunft ein? Nein. Es ist eher Angst.

An diesem Mittwoch nämlich wollte das Parlament über mehrere Anträge abstimmen. Dazu zählte unter anderem der sogenannte Cooper-Letwin-Antrag, der den Abgeordneten Mitte März die Macht eingeräumt hätte, einen No Deal zu verhindern und eine Verlängerung von Artikel 50 durchzusetzen, also den Brexit hinauszuzögern. Zahlreiche konservative Abgeordnete drohten am Dienstag mit Rücktritt, um diesen Aufstand des Parlamentes zu unterstützen.

May und Corbyn müssen fürchten, dass sich immer mehr Rebellen der neuen Mitte, der sogenannten Independent Group, anschließen. Die Gruppe formierte sich vergangene Woche aus Abgeordneten, die Labour und die Konservative Partei bereits verlassen hatten. In Wählerumfragen kommen die Unabhängigen, die formal allerdings noch keine Partei sind, auf eine Zustimmung von 18 Prozent, Labour hat gerade einmal 23 Prozent.

May kündigte also ihre vermeintliche Kehrtwende in der Brexit-Politik an, um dem Aufstand im Parlament zuvorzukommen. Und auch Corbyn reagierte, um den Rebellen in seiner Partei den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Was also setzt sich nun durch? Mays Deal, kein Deal, eine Fristverlängerung oder ein zweites Referendum?

Mays Deal

Nach bisherigem Stand will Regierungschefin Theresa May das britische Parlament spätestens am 12. März ein zweites Mal über ihren Brexit-Plan abstimmen lassen. Aber es sieht noch immer nicht gut für sie aus.

Am 15. Januar hatten die Abgeordneten den Austrittsvertrag, den die britische Regierung mit der EU ausgehandelt hat, zum ersten Mal mit einer Mehrheit von 230 Stimmen abgelehnt. Der wichtigste Grund: Der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox hatte den Parlamentariern zuvor erklärt, dass die in dem Vertrag festgelegte Notlösung für die irische Grenze bedeuten könnte, dass Großbritannien auf unbestimmte Zeit in einer Zollunion mit der EU gefangen bliebe.

Die Abgeordneten beauftragten May deshalb, in Verhandlungen mit der EU den sogenannten Backstop durch andere Regelungen zu ersetzen. Dazu war die EU nicht bereit. Beide Seiten arbeiten nun an “alternativen Maßnahmen”, die vielleicht den Backstop ergänzen könnten.

Damit aber ist der Brexit-Vertrag für die Hardliner der Konservativen Partei und die Abgeordneten der nordirischen DUP weiterhin nicht akzeptabel. Da Labour den Vertrag ebenfalls ablehnt, ist weiterhin keine Mehrheit für Mays Plan in Sicht.

Gerade deshalb verfolgt May eine Verzögerungstaktik. Sie hofft, dass das Parlament im letzten Moment ihrem Vertrag zustimmen wird, aus Angst, dass Großbritannien sonst ohne Vereinbarungen mit der EU aus der EU gehen könnte. Folgerichtig weigerte sich die Premierministerin am Dienstag im Parlament zu bestätigen, dass der No Deal tatsächlich vom Tisch sei.

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No Deal

Mays Drohung
ist ernst. Rechtlich wird Großbritannien am 29. März automatisch die EU
verlassen. Wenn bis dahin kein Abkommen vom britischen Parlament abgesegnet,
mit einem entsprechenden Gesetzeswerk begleitet und von Großbritannien und der
EU ratifiziert wurde, heißt es: No Deal, harter Brexit, schwere Folgen für die
Wirtschaft. Um das zu verhindern, hat Großbritannien zwei Möglichkeiten: Die
Austrittsfrist mit Einwilligung der EU verlängern – oder Artikel 50 des
EU-Vertrags widerrufen, den Brexit also abbrechen.

Am Dienstag
kündigte May an, dass sie dem Parlament spätestens am 13. März die Möglichkeit
einräumen wird, über einen No Deal abzustimmen, sollte das Parlament ihren
EU-Vertrag zuvor wieder ablehnen. May versicherte dem Parlament, sie werde sich
an die Entscheidung der Abgeordneten halten. Aber Vorsicht: Das Gesetz geht
vor. Ein No Deal kann nur durch ein anderes Gesetz gestoppt werden, nicht
einfach durch eine Abstimmung des Parlaments. Die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper und der konservative Abgeordnete Oliver Letwin bringen deshalb am
Mittwoch im Parlament die Möglichkeit ein, per Gesetz den No Deal zu stoppen. Außerdem
bringen sie einen weiteren Antrag ein, der May auf ihr Angebot festlegt – um
sicher zu gehen.

Das Problem: Ein Großteil der
Konservativen Partei und viele Brexit-Wähler finden den No Deal gar nicht so
schlimm. Im Wahlprogramm der Konservativen Partei steht, dass Großbritannien am
29. März die EU verlassen wird, selbst wenn dies ohne Abkommen mit der EU
geschehen muss. Ein Großteil der konservativen Basis nähme die Konsequenzen in
Kauf. Wenn sie für einen Brexit einen “Preis bezahlen” müssten, würde
nach Angaben des Meinungsforschungsinstitutes YouGov etwa die Hälfte der
Brexit-Anhänger hinnehmen, dass die Zinsen auf vier Prozent stiegen, die
Hauspreise um 30 Prozent fielen und die Preise gewerblicher Immobilien um fast
die Hälfte einbrächen. Mehr als ein Drittel der Befragten würden eine Inflation
von 6,5 Prozent akzeptieren, eine Arbeitslosenquote von 7,5 Prozent, eine Rezession
von 8 Prozent und eine Abwertung des Pfundes um 25 Prozent.

Das erklärt,
warum die National Conservative Convention – praktisch das interne Parlament
der Konservativen Partei mit etwa 800 führenden Parteifunktionären – am Samstag
noch einmal beschloss: Der Brexit habe am 29. März stattzufinden, selbst wenn
dies einen Austritt ohne Deal bedeuten würde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass
May im Notfall gewillt wäre, einen No Deal zu riskieren, um die Partei
zusammenzuhalten. Gerade deshalb aber ist die Revolte der Abgeordneten ernst.
Selbst jetzt ist vorstellbar: Das Parlament lehnt am 12. März den Deal von May
ab. Am 13. März lehnt das Parlament einen EU-Austritt ohne Vertrag ab. Am 14.
März stimmt das Parlament für einen Brexit-Verlängerung von drei Monaten, der
die EU stattgibt. In diesen drei Monaten verhandelt May weiter, um den Backstop
zu ändern, was ihr nicht gelingt. Während dessen laufen die Vorbereitungen für
den No Deal. May lässt nochmal abstimmen. Wieder lehnt das
Parlament ab. Großbritannien tritt im Sommer ohne EU-Abmachung aus der EU.

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Fristverlängerung

“Eine
Verlängerung bringt nichts. Sie bringt keine Entscheidung, sie klärt nichts.
Das Einzige, was wir brauchen, ist eine Entscheidung”, sagte May noch am
Wochenende. In einer Kabinettssitzung am Montag konnte May diese Position indes
nicht aufrecht halten, da drei Abgeordnete mit ihrem Rücktritt drohten.

Zudem hatten
drei Minister der Konservativen Partei, Claire Perry, Richard Harrington und
Margot James, die Premierministerin in einem öffentlichen Appell aufgefordert, umgehend eine Verlängerung der Frist nach Artikel 50 zu verkünden. Es sei unglaublich, dass eine Abstimmung am 12. März
der Wirtschaft nur 17 Tage Zeit gäbe, im Fall der Fälle mit der Nachricht eines
No Deal umzugehen. Sollte May einer Verlängerung von Artikel 50 nicht
zustimmen, würden sie zurücktreten. Einschließlich anderer konservativer,
gleichgesinnter Parlamentarier könnte die Revolte etwa 40 Abgeordnete umfassen.

May hofft nun,
dass sich die Abgeordneten der Konservativen Partei davon überzeugen lassen,
die für Mittwoch geplante Revolte im Parlament nicht zu unterstützen. Das kann
funktionieren, denn der Cooper-Letwin-Antrag ist umstritten. Er würde die
Regierung – selbst wenn es nur für einen Tag im Parlament wäre – entmachten und
die Regierungsgewalt von der Exekutive auf die Legislative verlagern.

Mays Vorschlag
ist freilich Augenwischerei. Sie ist bereit, einer Verlängerung von Artikel 50
zuzustimmen, aber nur einer kurzfristigen Verlängerung, die die Regierung
ohnehin hätte beantragen müssen, um die Ratifizierung ihres EU-Abkommens
garantieren zu können. Es ist nicht unbedingt ein Kurswechsel ihrer Politik.

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Zweites Referendum

Oppositionsführer Jeremy Corbyn verfolgt eine andere Strategie. Er selbst ist für den Brexit und beobachtet gelassen, wie May ihn umsetzt, später kann er ihren Brexit dann kritisieren, wenn es wirtschaftlich danebengeht. Die EU-Anhänger bei Labour hoffen hingegen auf eine zweite Volksabstimmung, wie sie als gemeinsame Linie auf dem jüngsten Parteitag beschlossen worden war: Weil sich Corbyn nicht daran zu halten schien, warfen vergangene Woche neun Labour-Abgeordnete hin, viele von ihnen allerdings mit dem Verweis auf zunehmenden Antisemitismus in der Partei. Um einer gefährliche Spaltung vorzubeugen, musste Corbyn also reagieren.

Am Mittwoch will er im Parlament über einen Antrag abstimmen lassen, der seine Version eines weichen Brexits mit einer EU-Zollunion zur Wahl stellt. “Es ist ein Brexit für Arbeitsplätze, für die Rechte der Arbeiter, für die Wirtschaft. Es sind Vorschläge, die funktionieren und verhandelt werden könnten”, sagte Corbyn im Parlament. Aber: Der Antrag wird voraussichtlich abgelehnt werden, da es im Parlament derzeit keine Mehrheit für einen solchen Brexit gibt.

Dann folgt Teil zwei von Corbyns Strategie: Sollte das Parlament Mays EU-Vertrag akzeptieren, müsse er mit einer Volksabstimmung abgesegnet werden. Er sei dann bereit, ein zweites Referendum zu unterstützen, wohlwissend, dass dafür bis zum Austritt aus der EU die Zeit fehlt. Wer das nicht ganz versteht, liegt nicht falsch: Corbyn hat sein Angebot bewusst so unklar formuliert, dass nicht genau zu erkennen ist, wann er über was genau abstimmen lassen will. Brexit-Anhänger in der Labour Partei können sich so weiter damit trösten, dass die Konservativen den Brexit voraussichtlich durchsetzen werden.

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