/Albträume: Raus aus dem Horrorfilm in Endlosschleife

Albträume: Raus aus dem Horrorfilm in Endlosschleife

Was wir ein Drittel unseres Lebens machen? Schlafen. Jedenfalls
wenn’s gut läuft. Warum tut der Mensch es überhaupt, wie viele Stunden
sind genug und was hilft, wenn wir abends nicht einschlafen können? Diesen und weiteren Fragen widmet ZEIT
ONLINE den Schwerpunkt “Besser schlafen”. Passend dazu hat
Joachim Retzbach für das Magazin “Gehirn&Geist” recherchiert, wie sich Träume therapeutisch nutzen und wiederkehrende Albträume verändern lassen.

Maria* hatte keine Lust, auf die Party zu gehen. Sie kannte niemanden außer der Gastgeberin. Und eigentlich hätte sie den Abend viel lieber mit ihrer Tochter verbracht, um die sich nun die Babysitterin kümmern musste. Doch die Studentin will ihre Freundin nicht hängen lassen. Also macht sie sich zu Fuß auf den Weg.

Während sie die Straße entlangläuft, bemerkt sie plötzlich, dass ihre Hose im Schritt ganz nass ist: Sie hat sich eingenässt, der Urinfleck ist nicht zu übersehen. Trotzdem geht sie weiter. Als sie endlich auf der Feier ankommt, hat sich um sie herum eine große Schar von Maden und Würmern zusammengerottet. Die anwesenden Gäste betrachten sie schockiert und angewidert. Scham durchfährt ihren ganzen Körper. Dann wacht sie auf.

“Albträume kennt fast jeder Mensch”, sagt die Psychologin Annika Gieselmann von der Universität Düsseldorf. Von gewöhnlichen Träumen unterscheiden sie sich vor allem durch die starken negativen Emotionen, die dabei auftreten. Meistens ist es ein intensives Gefühl der Angst oder Furcht. Aber auch Trauer, Ekel, Scham oder Wut können vorherrschen, erklärt die Psychologin.

Oftmals ist das Gefühl so überwältigend, dass man schweißgebadet davon aufwacht. Der Schläfer weiß fast immer noch, was ihn so verschreckt hat – auch damit nehmen Albträume eine Sonderstellung ein. Denn an den Großteil der harmlosen Träume, die wir jede Nacht haben, können wir uns am nächsten Morgen nicht mehr erinnern.

Obwohl Albträume weitverbreitet sind, wird ihre Wirkung auf die Seele zuweilen unterschätzt. Denn bei manchen Menschen wachsen sich die nächtlichen Gruseltrips zu einer so starken Belastung aus, dass Experten eine eigene Diagnose dafür kennen: die Albtraumstörung. So war es auch bei der Studentin Maria, die vor einigen Jahren deswegen bei Annika Gieselmann Hilfe suchte. Die Psychologin gehört zu den wenigen Forscherinnen und Forschern weltweit, die sich mit dem Thema beschäftigen.

Zu den Dingen, die die Wissenschaft bisher über Albträume weiß, gehört, dass sich ihre Häufigkeit mit dem Lebensalter verändert. Vor dem zehnten Lebensjahr treten sie vermehrt auf; im Alter werden sie meist seltener. Auch das Geschlecht und die Gene spielen eine Rolle. Frauen berichten öfter von Albträumen als Männer. Und als eine Arbeitsgruppe aus Finnland im Jahr 1999 rund 3.700 ein- und zweieiige Zwillingspaare zu ihren Träumen befragten (American Journal of Medical Genetics: Hublin et al., 1999), zeigte sich: Die Häufigkeit von Gruselträumen scheint zu ungefähr einem Drittel bis zur Hälfte genetisch bedingt zu sein.


Dieser Artikel stammt aus dem Magazin “Gehirn&Geist”. Weitere Artikel zum Thema im Sonderheft “Schlafen und Träumen”.

© Gehirn & Geist

Zur Veranlagung kommt oft hinzu, dass die Betroffenen viel Stress erleben. Personen mit anderen seelischen Erkrankungen werden häufiger von Albträumen geplagt, genau wie generell eher sensible, kreative und künstlerisch veranlagte Menschen. So ergab im Jahr 2017 eine Studie von Forschern um den Tübinger Biologen Christoph Randler (Sage Open: Randler et al., 2017), dass von den fünf großen Persönlichkeitsmerkmalen vor allem zwei mit dem Auftreten von Albträumen zusammenhängen: Neurotizismus, also eine geringe emotionale Belastbarkeit, und Offenheit für neue Erfahrungen.

Stressbelastung begünstigt Albträume

Maria hatte nach eigenen Angaben “schon immer” an Albträumen gelitten. Doch kurz bevor sie bei Annika Gieselmann Rat suchte, hatten sich ihre Lebensumstände geändert: Sie war alleinerziehende Mutter geworden, lebte mit ihrem Kind in einer engen Wohnung und wusste nicht, wie sie ihr Studium weiter finanzieren sollte. Gleichzeitig merkte sie, dass sie nach ihrem Bachelorabschluss auch noch einen Master brauchen würde, um sich wie geplant beruflich zu verbessern. Oft ging sie vom Serienschauen oder Lernen am Laptop direkt ins Bett, und sie ernährte sich ungesund. Im Gedächtnis blieb sie ihrer Therapeutin aber vor allem wegen ihrer ungewöhnlichen Träume, die, so Gieselmann, zu ihrer kreativen Persönlichkeit passten.

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