/“Werk ohne Autor”: Unseriös oder doch prachtvoll?

“Werk ohne Autor”: Unseriös oder doch prachtvoll?

Es ist zwölf
Jahre her, seit Florian Henckel von Donnersmarck für Das Leben der Anderen den Oscar für den Besten fremdsprachigen Film
bekam. Heute hat der deutsche Filmemacher mit Werk ohne Autor Chancen auf gleich zwei Goldjungen: als Bester
fremdsprachiger Film und für die Beste Kameraarbeit, von Caleb Deschanel. 2004 war der Amerikaner auch
verantwortlich für Die Passion Christi und gerade hat er die Neuverfilmung von Der
König der Löwen
abgedreht.

Auf Das Leben der Anderen, einen Film über die
DDR, waren die Deutschen stolz, aber Werk
ohne Autor
wurde vom deutschen Feuilleton zum Teil derbe verrissen – nicht
zuletzt wegen der honigfarbenen Bilder von Deschanel. “Selbst Szenen
größter Gewalt”, schreibt der Kollege Hanno Rauterberg,
“werden mit einem Schmelz grausam erhabener Schönheit überzogen.”

Obendrein hatte
der Film in Deutschland an seinem ersten Wochenende nur 40.000 Besucher
angelockt. Das
US-Branchenblatt Variety spielte eine
Geschichte mit dem Titel
: “Deutsches Publikum schaut weg von Never Look Away“, so übrigens der
englische Titel, was auf Deutsch so viel heißt wie: Schau nicht weg.

Seichtes Kunstverständnis

Deutsche
Kritiker haben dem dreistündigen Drama die Verwendung fragwürdiger Stilmittel,
ein seichtes Verständnis von Kunst, die zweifelhafte Interpretation eines
Künstlerlebens, die Objektivierung weiblicher Körper, eine geschmacklose
Gaskammerszene und die Relativierung von Nazigräuel vorgeworfen. “Der Film spricht fließend Klischee”,
so Dietmar Dath von der FAZ, “die
Amerikaner werden das lieben.”

Das tun sie tatsächlich.
Auch wenn manche von ihnen gemischte Gefühle haben, halten viele US-Kritiker
den Film trotz Mängeln für sehenswert. Christopher Orr vom Atlantic hält Werk ohne Autor
für ein “prachtvolles Epos”, das “monumental und intim” die
Komplexität von drei turbulenten Jahrzehnten in Deutschlands Geschichte erforsche. Nach von seinem Debakel The
Tourist
im Jahr 2010 mit Angelina Jolie und Johnny Depp “kehrt
von Donnersmarck triumphierend zurück”, schreibt Peter Travers von Rolling Stone. Nur A. O. Scott von der New York Times
hat es geschafft, in ein Kompliment Kritik zu verpacken:
“Von Donnersmarck versucht, die Werkzeuge des Kitsches zu benutzen, um die
Geheimnisse der Kunst zu erleuchten. Das ist schon fast eine Idee.”

Es lohnt sich die Frage: Was sehen die Amerikaner in einem Film, den
Deutsche nicht sehen wollen?

Nun, zum einen
ist es eine semiwahre Geschichte über den Leidensweg eines Helden. Werk ohne Autor ist stark an das Leben
des deutschen Malers Gerhard Richter angelehnt (“based on a true story“). Im Film heißt er Kurt Barnert,
gespielt von Tom Schilling, der miterleben muss, wie seine geliebte Tante dem nationalsozialistischen Euthanasieprogramm zum Opfer fällt –
als Strafe für ihren “entarteten” Kunstverstand;
wie zwei seiner Onkel an der Ostfront fallen; wie sein eigener Vater sich
erhängt. Als junger Künstler im kommunistischen Osten Deutschlands sieht sich
Kurt gezwungen, eine Vision von bäuerlicher Authentizität und den damit
verbundenen sowjetischen Werten zu malen. Davon angewidert flieht er in den
Westen und verwandelt dann, im Einklang mit amerikanischen Konventionen –
einschließlich eines Happy Endings –, seine Traumata in millionenschwere Kunst. That’s Hollywood, baby.

Hollywood
handelt mit Optimismus, Erlösung und Heilung und kann selbst die
schrecklichsten Realitäten in Oscargold verwandeln. Schindlers Liste war, trotz aller schonungslosen Gräueltaten, eine
Geschichte über Heldentum, Widerstandsfähigkeit und Überleben. Der mit sieben
Oscars ausgezeichnete Film von Steven Spielberg machte den Holocaust zu einem
verheerenden Hollywoodepos. Und nicht nur die Amerikaner können das. Was war Das Leben ist schön, wenn nicht eine
märchenhafte Tragikomödie über eine italienische Familie, die in ein deutsches
Vernichtungslager verschleppt wird?

Florian Henckel
von Donnersmarck hatte nach einem Weg gesucht, die Heilkraft der Kunst im
Film zu veranschaulichen. Er will
ein Alchimist sein. Und
im erbaulichen Hollywoodkino weicht einer grauenvollen Realität oft
die Lebensbejahung. Selbst aus den größten Tragödien werden massentaugliche
Themen und Konventionen rausgeholt: Kurt Barnert heiratet die Tochter jenes
Mannes, der seine Tante in den Tod geschickt hat – ohne es zu wissen. Der
wiederum führt bei seiner eigenen Tochter eine Abtreibung durch, weil er von so
einem primitiven Kerl wie Barnert keine Enkelkinder will (verbotene Liebe).
Die Tante von Kurt, gespielt von der wunderschönen
Saskia Rosendahl, wird abtransportiert, zwangssterilisiert und ermordet
(edles Opfer). Barnert wird schließlich durch seine Kunst, unbewusst, den
Mörder seiner Tante entlarven, bekommt eine Ausstellung gewidmet und wird
sogar Vater (Triumph über Unterdrücker, Erfolg, Happy Ending).

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