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Venezuela: Wer verfolgt welche Interessen in Venezuela?

Die Opposition wollte Hilfe gegen den Willen von Präsident Maduro nach Venezuela bringen und ist gescheitert. Worum geht es genau? Die wichtigsten Antworten

Venezuela: Gewaltsame Auseinandersetzung um Hilfstransporte: In San Antonio del Táchira, einer Stadt auf der venezolanischen Seite der Grenze zu Kolumbien, wirft ein Demonstrant einen Tränengaskanister zurück zu den Sicherheitskräften.

Gewaltsame Auseinandersetzung um Hilfstransporte: In San Antonio del Táchira, einer Stadt auf der venezolanischen Seite der Grenze zu Kolumbien, wirft ein Demonstrant einen Tränengaskanister zurück zu den Sicherheitskräften.
© Federico Parra/AFP/Getty Images

Vordergründig geht es im Konflikt um die Hilfslieferungen
nach Venezuela um Nahrung und Medizin. Darum, die Versorgungskrise in einem Land
zu lindern, in dem Lebensmittel und Arzneien seit Jahren knapp sind, das Gesundheitssystem
zusammengebrochen ist und in dem angesichts einer jährlichen Inflationsrate von
mehr als einer Million Prozent viele Menschen hungern, weil das Geld für ausreichend Essen nicht reicht.

In Wahrheit aber geht es um viel mehr. Im Machtkampf
zwischen dem Präsidenten Nicolás Maduro (dem seine Gegner vorwerfen, er sei nur
durch Wahlbetrug im Amt geblieben) und dem Parlamentspräsidenten Juan Guaidó (der
sich im Januar selbst zum Präsidenten erklärte und seinen Anspruch auf das Amt aus
der Verfassung heraus begründet)
, verfolgt jede Seite ihre eigenen Interessen:
die Opposition, die USA, ebenso Maduro. So wird die
Nothilfe für die verarmte Bevölkerung zum politischen Instrument
. Was sind die Ziele der Konfliktparteien? Ein Überblick

Was will die Opposition mit den Hilfslieferungen erreichen?

Die Venezolanerinnen und Venezolaner könnten Hilfe gut
gebrauchen – doch die 600 Tonnen Nahrungsmittel und Medikamente, welche die
Opposition am Samstag ins Land bringen wollte, würden kaum ausreichen, um den extremen
Mangel zu lindern.

Dennoch sind die Lastwagen an der Grenze ein mächtiges Symbol: Wären sie
tatsächlich ins Land gelangt, dann hätte Oppositionsführer Guaidó als derjenige
gegolten, der die Menschen mit Nahrung und Arzneimitteln versorgen kann
– im Gegensatz zu seinem Kontrahenten Maduro. Der hatte vorab angekündigt,
die Transporte nicht durchzulassen. Die Opposition wollte durch die
Hilfstransporte den Druck auf ihn erhöhen und durch die direkte Konfrontation
an der Grenze das Militär dazu bewegen, die Seiten zu wechseln.

Nach den harten Auseinandersetzungen an der Grenze vom
Samstag ist klar: Guaidó hat seine Ziele nicht erreicht. Zwar folgten
zahlreiche Anhänger seinem Aufruf und kamen an den Schlagbaum, um die Hilfsgüter
nach Venezuela hineinzubringen. Auch er selbst schlüpfte durch die Kontrollen
und schaffte es auf die kolumbianische Seite. Wie er sagte, unterstützten ihn
dabei venezolanische Soldaten. Etwa 60 Mitglieder der Sicherheitskräfte seien
zu ihm übergelaufen, meldete
die Nachrichtenagentur Bloomberg
.

Aber die anderen hinderten die Transporte mit Gewalt daran,
die Grenze zu überqueren – sowohl von Kolumbien wie auch von Brasilien aus.
Am
Ende brannten zwei Lastwagen. Dutzende Menschen wurden verletzt; Medien
berichten von mindestens drei Toten
. Das Militär blieb Maduro treu.

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Was wollen die USA?

Die Hilfsgüter waren vor allem von den USA geschickt worden,
deren Regierung unter Präsident Donald Trump mittlerweile sehr offen erklärt,
sie wolle Nicolás Maduro stürzen. Im Januar verstärkten die USA ihre
wirtschaftlichen Sanktionen gegen Venezuela. Trump schließt auch eine
militärische Intervention nicht aus.

Streng genommen widerspricht das der “America first”-Politik
des Präsidenten, die besagt, dass die USA sich vor allem um ihre eigenen
Probleme kümmern müssen, statt sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen.
Doch Venezuela, das Land mit den größten Ölreserven der Welt, ist für die USA
ein wichtiger Lieferant. Offenbar spielt auch schon der kommende
Präsidentschaftswahlkampf eine Rolle: In Florida, einem wichtigen Swing-State,
leben besonders viele Exilvenezolanerinnen und -venezolaner. Ihre Stimmen
könnten darüber entscheiden, an welchen Kandidaten der Staat fällt.

Nachdem die Hilfstransporte an der Grenze aufgehalten worden
waren, verschickte Außenminister Mike Pompeo eine Mitteilung, in der es hieß:
“Die Vereinigten Staaten werden gegen jene vorgehen, die gegen eine friedliche
Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela sind, und sie zur Verantwortung
ziehen.” Pompeo erneuerte den Appell an die venezolanischen Sicherheitskräfte,
sich der Opposition anzuschließen.

Eine Luftaufnahme zeigt die Brücke an der venezolanisch-kolumbianischen Grenze, auf der am Samstag Lastwagen brannten.
© Edinson Estupinan/AFP/Getty Images

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Und Nicolás Maduro?

Venezuelas Präsident beschwört die Gefahr einer US-Invasion
schon länger herauf. Er sagt, auch die Hilfstransporte dienten zu ihrer Vorbereitung.
Internationalem Recht zufolge müsste er Nothilfe ins Land lassen, wenn das
Überleben der Bevölkerung bedroht ist – aber die Hilfe muss unparteiisch
sein. Das ist hier nicht der Fall. Die Vereinten
Nationen warnten deshalb davor, die Lieferungen zu politisieren
, und das Rote Kreuz weigerte sich, bei ihrer Verteilung mitzuhelfen. Auch andere
Organisationen, die teilweise schon lang in Venezuela arbeiten, gehen
auf Distanz
. Manche fürchten, die Regierung könne sie nun auch
als Gegner betrachten und ihre Arbeit behindern
.

Doch die Not der venezolanischen Bevölkerung ist real. Die Wirtschaft des Landes ist ruiniert. Dass
Maduro die Lieferungen am Samstag gewaltsam aufhalten ließ, zeigt: Er ist
keinesfalls gewillt, die Macht abzugeben. Schon in der Vergangenheit hat er
mehrfach bewiesen, dass Druck ihn nur noch sturer werden lässt.

Zum
Beispiel nach dem 29. März 2017, als das oberste Gericht Venezuelas – das
Nicolás Maduro stützt – die Kontrolle über das Parlament übernahm, in dem
die Opposition die Mehrheit hat. Das löste Proteste aus, die von Einsatzkräften
gewaltsam unterdrückt wurden. Laut Amnesty International wurden damals 120
Menschen getötet, 1.958 verletzt und mehr als 5.000 verhaftet.

In ihrem Report Nights of Terror hat die
Organisation dokumentiert, wie bewaffnete Einsatzkräfte und von der Regierung
bezahlte zivile Schlägertrupps damals gewaltsam in die Häuser vermeintlicher
Oppositioneller eindrangen, um Angst zu verbreiten. Die Menschen sollten sich
nicht mehr trauen, auf die Straße zu gehen. Amnesty spricht von einer “systematischen
Repressionspolitik während der ganzen Krise, aber jüngere Muster deuten darauf
hin, dass es schlimmer wird”
. Auch nach den ersten Auftritten von Juan Guaidó als selbst
erklärtem Präsidenten im Januar 2019 starben wieder Menschen, Medien berichten
von Hinrichtungen und Folter.

Manchmal
aber scheint die Kontrolle auch ohne direkte Gewalt zu funktionieren. Viele
Familien haben in Venezuela nur dank staatlicher Nahrungsmittelpakete genug zu
essen. Doch wer die Regierung
kritisiert, erhält Medienberichten zufolge keine Hilfe
.

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Wie geht es jetzt weiter?

Während am Samstag an der Grenze Lastwagen brannten und
Menschen starben, tanzte Maduro auf einer Kundgebung in Caracas demonstrativ
mit seiner Frau. Er sei “stärker als je zuvor”, sagte er. Er regiere Venezuela,
“jetzt und noch auf viele Jahre hinaus”.

Nach einer friedlichen Lösung klingt das nicht. Maduro ist
immer noch stark, er hat die Unterstützung des Militärs und auch von Russland,
Kuba und China.

Doch sein Gegner Guaidó hat schon viel erreicht, seit er
sich vor ein paar Wochen zum Präsidenten erklärte: Viele Menschen in Venezuela
unterstützen ihn, und 50 Länder erkennen seinen Amtsanspruch an. Am
Montag will er sich in Bogotá mit US-Vize Mike Pence treffen
, um über das
weitere Vorgehen zu beraten. Viel wird in den kommenden Tagen wohl davon
abhängen, wie sich die USA verhalten.

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