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Pasta: Hohes Gericht

Nudeln sind geil.

Geniales Design.

Fast Kunst.

In ihrer Einfachheit unübertroffen.

Das beste Transportsystem für Soße, das jemals erfunden wurde (sorry, Knödel).

Lebensspender.

Superfood.

Zum Beispiel meine Mutter: Jeden Tag kommt sie mittags von der Arbeit heim und isst 100 Gramm
Nudeln. Jeden Tag. Danach macht sie noch das Kreuzworträtsel der
Süddeutschen Zeitung.
Und dann geht’s wieder zurück. So hat sie als arbeitende Frau praktisch allein drei
Kinder großgezogen. Sie ist jetzt 72.
She’s a goddamn machine running on spaghetti.
Würde sie keine Nudeln mehr essen, ich glaube, sie würde umfallen. Das will ich nicht. Sie
darf nie aufhören. Wir alle dürfen nie aufhören, Nudeln zu essen.

Leider ist das nicht so einfach. Nudeln haben ein Problem. Wegen der Kohlenhydrate darin. Die
haben so einen üblen Ruf, dass immer mehr Menschen darauf verzichten. Das wiederum halte ich
für ein Problem.

Um zu verstehen, was ich meine, muss ich mit zwei Freunden von mir anfangen. Sie sind beide
Anfang 30 und hatten bis auf normale Paar-Streitereien nie Schwierigkeiten. Er war jedoch
immer unzufrieden mit seiner Figur. Vor Kurzem beschloss er, endlich etwas zu tun. Er begann,
Sport zu treiben, und verzichtete auf Kohlenhydrate. Keine Pasta mehr für ihn. Nicht mal
Suppennudeln, die ganz kleinen. Es funktionierte sehr gut. Er nahm rasch einige Kilo ab. Sah
super aus. Außerdem sagte er, er fühle sich klarer im Kopf.

Das klingt jetzt aber besser, als es ist. Denn der Freund und die Freundin arbeiten viel und
hatten eine liebste gemeinsame Beschäftigung: kochen. Und wenn sie kochten, dann machten sie
natürlich gute Sachen. Pasta, Farfalle oder Casarecce. Seitdem er jedoch Low Carb war, gab es
nur noch Salat. Was sie wiederum total fertigmachte, weil sie es erstens als Kränkung empfand,
dass ihm seine Ernährungsweise wichtiger war als ihre gemeinsame Zeit; sie zweitens auch schon
länger darüber nachdachte abzunehmen, aber nicht einsah, dafür auf Dinge zu verzichten, die
ihr schmeckten; und er drittens immer manischer wurde in der Beschäftigung mit seiner Diät.
Ständig las er im Internet über das richtige Verhältnis von Fett und Protein, zitierte
irgendwelche Studien, die er nicht mal selbst gelesen hatte, und redete allgemein so, als gäbe
es nur exakt eine richtige Art, sich zu ernähren. Sie fand, er klang wie das Mitglied einer
Sekte.

Um es vorwegzunehmen: Mittlerweile haben sie einen Kompromiss gefunden. Sie konnte
Verständnis dafür aufbringen, dass er auf sein neu gewonnenes Körpergefühl nicht verzichten
will. Und er kapierte, dass es ihr beim Essen um mehr ging als um Nahrungsaufnahme. Jetzt
kochen sie einmal die Woche gemeinsam Penne all’arrabbiata. Alles ist gut.

Und dann ist wiederum überhaupt nichts gut. Denn das nudelfeindliche Prinzip Low Carb ist
inzwischen überall. Keine moderne Diät kommt ohne aus. Jeder kennt jemanden, der keine
Kohlenhydrate isst
. Wahrscheinlich haben Sie es auch selbst schon mal probiert.

Das Problem ist nur, dass das Leben ohne Nudeln scheiße ist. Es tut mir leid, das in dieser
Deutlichkeit sagen zu müssen. Aber es ist doch so: Leute, die auf Nudeln verzichten, wollen
dünner und gesünder werden. Ständig erzählen sie einem, wie viel besser und fitter sie sich
fühlen. Dabei werden sie in erster Linie ärmer. Sozial, emotional und finanziell. Außerdem mag
mittags keiner mehr mit ihnen essen gehen. Traurig und allein sitzen sie vor ihrer Quinoa-Bowl
für 16,90.

Ich will nicht verhehlen, dass ich in dem beschriebenen Konflikt zwischen meinen Freunden
parteiisch war.

Aber wie ist es überhaupt so weit gekommen, dass Kohlenhydrate eine solche Ächtung erfahren
haben
? Vor ungefähr zehn Jahren, während meines Studiums, fingen meine Freunde auf einmal an,
darüber zu sprechen, dass man vor allem am Abend auf Kohlenhydrate verzichten sollte, weil der
Körper im Schlaf die überschüssige Energie in Fett umwandle. Ich weiß nicht, ob das damals ein
Trend war oder ob wir nur in ein Alter kamen, in dem man sich mit der Frage beschäftigt, ob
man ein Sixpack braucht. Die meisten von uns fanden: ja.

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