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Missbrauchsgipfel: Der Teufel wars

Der Missbrauchsgipfel ist gescheitert. Er war eine Enttäuschung für all jene, die sich von Papst Franziskus in seiner Abschlussrede ein konkretes Schuldeingeständnis und praktische Schlüsse versprachen. Also für die halbe Welt. Franziskus schlingerte gegenüber den vom Missbrauch Betroffenen, die nach Rom angereist waren, aber nicht mitdiskutieren durften. Die lediglich als “Stimmen” ihre Leiden beschreiben durften.

Bezeichnenderweise hieß der Titel der ganzen Veranstaltung nicht: “Schutz der minderjährigen Kinder vor der Kirche”, sondern “in der Kirche”. Der Pontifex klammerte sich in seiner Rede immer wieder an dieses “in” wie an einen Rettungsring. Er verwies auf Kindersoldaten und Kinderarbeit, und Kinderprostitution, und vergaß auch nicht die Kinder, die unter häuslicher Gewalt leiden.

Man weiß, dass die Kirche auf diesen Gebieten eine Menge unternimmt. Nur war diese Begegnung nicht einberufen worden, um über die Schädlichkeit sozialer Netzwerke zu thematisieren, sondern sexuelle Vergehen oder Misshandlungen von Kirchenvertretern an Jugendlichen.

“Mysterium des Bösen” und “Instrument Satans”

Doch in Franziskus Rede wurde dieses Monströse, dieses “Mysterium des Bösen” in der Welt, das “gegen die Schwächsten gerichtet ist” vor allem zu einem “Instrument Satans”, der mittels Internet mit kinderpornografischen Inhalten die Jugend verdirbt und eben auch vor dem Klerus nicht haltmacht.

Offenbar war auch nicht allen angereisten Bischöfen das Problem in seiner ganzen Tragweite bewusst. Manche der geistlichen Gesandten aus Afrika und aus Asien erklärten, sie verstünden unter Missbrauch Kinderarbeit und Kinderprostitution und hielten deshalb diese Debatte um sexuellen Missbrauch für reine Obsession.

Warum Papst Franziskus – anders als bei anderen Reden über die Aufarbeitung des strukturellen Missbrauchs – in seiner Abschlussrede das Argument dieser Bischöfe so stark gewichtete, lässt sich letztlich nur taktisch erklären. Es war wohl die Furcht vor der Spaltung seiner Kirche, der Versuch, alle mitzunehmen auf den Pfad der Erneuerung. Es erklärt aber nicht, warum der Papst seine gesamte Rede so betont relativierend gestaltete. Er zitierte mehrere wissenschaftliche Studien, die von Großorganisationen wie der Weltgesundheitsorganisation WHO in Auftrag gegeben wurden und verlas, dass laut dieser Untersuchungen vor allem Eltern, Angehörige, Verwandte, und Erzieher den Täterkreis bildeten. “Demnach erlitten neun von zehn Opfern den Missbrauch in der Familie.” Erst an letzter Stelle – nach dem Sport – erwähnte der Papst die Kirche. Dabei weiß er nur zu gut, dass ein Problem nur scheinbar kleiner wird, wenn man den Rahmen größer aufzieht.

Klagen über die Polemik der Kirchenkritiker

Dass Franziskus schließlich immer wieder betonte, dass es vor allem der Druck der Medien war, der die Kirche zur Auseinandersetzung mit dem Skandal zwang, und gleich danach die Polemik der Kirchenkritiker bemängelte, passt gut zu seinen Invektiven gegen Kirchenkritiker, die er schon unmittelbar vor dem Gipfel in Süditalien gegenüber Pilgern äußerte. Der Spiegel zitierte Franziskus mit den Worten, Menschen, die die Kirche ständig und ohne Liebe kritisierten, seien für ihn die Freunde, Cousins und Verwandten des Teufels.

Folgt man dieser Argumentation, bräuchte es in Zukunft im Vatikan keine Juristen in den Kirchengerichten und der Verwaltung mehr, auch keine Sexualtherapeuten in der Priesterbetreuung,  sondern vor allem Exorzisten. Wäre es nicht besser gewesen, anstatt wie der Papst nur die “erstickten Schreie der Opfer” zu betrauern, regelmäßig und nicht nur symbolisch mit den Betroffenen den Austausch zu suchen? Lange genug hat der Vatikan das Prinzip “Klärung erst nach Verjährung” genutzt.

Mehr Sorge um die eigene Spaltung

Am dritten Tag des Gipfels, bei einem Bußgottesdienst, sagte Neuseelands Vertreter, Kardinal John A. Dew, vor Papst und führenden Kardinälen und Ordensleuten glasklar: “Wir bekennen, dass wir die Schuldigen geschützt und die Opfer zum Schweigen gebracht haben.” In Erinnerung bleiben wird auch die Stimme eines chilenischen Missbrauchsopfers, der vor den Versammelten sprechen durfte: “Missbrauch ist die schlimmste Demütigung, die ein Mensch erleben kann.” Und er fuhr fort: Weil er dem entfliehen wolle, sei er nicht mehr er selbst, sondern lebe in zwei Welten: “Ich wünschte, der Täter könnte verstehen, dass er ein Opfer derart spaltet. Für den Rest seines Lebens.”

Solange die römische Amtskirche sich mehr Sorgen macht um ihre eigene Spaltung, verbaut sie sich jeden Neuanfang, den sich manche in ihr ja doch wünschen.

Der maltesische Erzbischof Charles Scicluna zum Beispiel, zuständig in der päpstlichen Glaubenskongregation für die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs, bemängelte öffentlich, dass die Betroffenen über das kirchenrechtliche Vorgehen bei der Aufarbeitung nicht informiert würden. Auch über den Ausgang von Prozessen würden sie nicht in Kenntnis gesetzt.

Nur Kardinal Marx besuchte die Opferverbände

Oder Kardinal Reinhard Marx, der während des Treffens in Rom auch die katholische Verwaltungsgerichtsbarkeit für den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mitverantwortlich machte. Marx war übrigens der einzige Vertreter auf dieser Konferenz, der sich laut Informationen des Fernsehsenders Phoenix in Rom während dieser Tage für 90 Minuten in das Hotel begab, in dem die Opferverbände logierten.

Im Kleinen werden solche mutigen Stimmen sicher etwas bewirken. Wenn aber der Papst in seiner Liste zur Verbesserung des Missstandes dem Punkt “Begleitung des Opfers” fünf andere Punkte voranstellt, die rein theologischer Natur sind, dann ist auch das ein Zeichen.

So wird die katholische Kirche weiter an ihrem alten Leiden kranken: Wer sich als alleiniger Übermittler der göttlichen Wahrheit sieht, gerät leicht in Gefahr, seine eigene irdische Glaubwürdigkeit für weniger wichtig zu halten.

Dem Gipfel werden in der nächsten Zeit Tagungen von Arbeitsgruppen folgen, die das Besprochene nun konkretisieren sollen. Ob das neuen Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche auslösen wird, davon hängt Franziskus’ Glaubwürdigkeit ab. Er kann sich dem endlich stellen oder weiter in die Mystik flüchten.

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