Aschgraue Kacheln am Boden, die Wände rot geklinkert, alles verwinkelt, ein bisschen wie im Labyrinth, rechts und links kleine Räume: quadratisch, karg und ungemütlich. Hartmut Moldenhauer (76), Leitender Polizeidirektor im Ruhestand, kennt sich in diesem Ambiente bestens aus. Jetzt steht er mittendrin, dreht sich einmal rundherum um jede Einzelheit zu zeigen und erzählt von damals mit ein wenig Stolz in der Stimme. „Ganz klar“, sagt Moldenhauer, „das war hier mal der polizeiliche Nabel von West-Berlin“.

Statt Arrestzellen gibt’s bald zwei Klosterzellen

Der pensionierte Beamte hat am Sonnabend einen spannenden Auftritt: Er führt durch den Zellentrakt seiner früheren Dienststelle, des legendären Polizeiabschnitts 31 im „Bahnhof Zoo“, der 2004 geschlossen wurde. Dessen Räume direkt neben der heutigen Station der Bahnpolizei am Hardenbergplatz werden nach langem Leerstand nun komplett umgebaut. Sie bekommen eine neue Bestimmung.
Wo einst Kriminelle in Gewahrsam genommen wurden und Polizisten auf Streife gingen , entsteht das neue „Zentrum am Zoo“ der Bahnhofsmission für Obdachlose und sozial hilfsbedürftige Menschen. Zwei Gefangenenzellen, regt Moldenhauer an, sollten aber zur Erinnerung erhalten bleiben. „Unbedingt“, stimmt ihm Fachbereichsleiter Wolfgang Nebel von der Bahnhofsmission zu. „Wir machen aus zwei Arrestzellen schöne Klosterzellen.“ Na ja, Rückzugsräume zum meditieren eben.

Der Abschnitt 31 war bis zur Wende die größte und umtriebigste Polizeidienststelle West-Berlins. „Wir hatten das meiste Personal im Schichtbetrieb, rund 320 Beamte – und die meisten Einsätze“, erinnert sich Moldenhauer. „Bekam man hier eine Stelle, so war das ein kleiner Ritterschlag.“ Hartmut Moldenhauer, ein ruhiger Typ mit Jeans, blauem Pulli und Bärtchen, den vermutlich so rasch nichts aus der Ruhe bringen kann, war hier Mitte der Siebziger Jahre der Chef. Es war die Zeit, als das Magazin „Stern“ die Biografie von Christiane F. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ herausbrachte. „Drogenhandel, Taschendiebstahl und Einbrüche, das waren damals die häufigsten kriminellen Delikte“, erzählt Moldenhauer.

Tisch, Pritsche, Bank und eine Klingel für’s WC – das war’s

Wer erwischt und vorläufig festgenommen wurde, kam im Zellentrakt des Abschnitts 31 unter den Gleisen der S- und Regionalbahn in Gewahrsam. In der Regel nur für ein paar Stunden bis zur Vernehmung bei der Kripo. Neun Zellen gab es, jede mit Tisch, Pritsche, Bank, aber ohne WC. Wer mal musste, drückte die Klingel. Für Hartmut Moldenhauer und seine Zuhörer ist es am Sonnabend die letzte Chance, dieses Stück Polizeigeschichte zu erleben, bevor die Wände eingerissen werden und alles neu gestaltet wird.

Manche Insassen waren extrem politisch

Also, wer kommt mit in die Zelle Nummer 8? Ein junger Mann drückt die Klinke der schweren gelben Holztür und geht auf die Zehenspitzen, um das Türchen zum Guckloch zu öffnen, genau so, wie man es aus den Knästen in alten Krimis kennt. Jetzt schiebt er die Holztür auf und steht in einem schmalen Zwischenraum. Der endet vor einem deckenhohen Gitter. „Die zweite Sicherung“, erklärt Moldenhauer. „Wie im Zoo“, kommentieren Besucher. „Na ja, sagt Moldenhauer, „Manche unserer Gäste hier waren heftig aggressiv.“ Und andere extrem politisch. „Bombenbauen, Waffen klauen, Bullen auf die Fresse hauen“, hat einer 1982 auf die Wand geschrieben. Und daneben vermerkt: „Ich scheiß auf die Demokratie!“

Die Beamten haben diese Sprüche damals nicht gelöscht. „Es waren ja irgendwie Dokumente der Zeitgeschichte“, sagt Moldenhauer, der sich als Rentner heute ehrenamtlich in der Polizeihistorischen Sammlung im Polizeipräsidium engagiert. Deshalb hat er nun auch ein „Verzeichnis der eingebrachten Personen“ parat und zeigt, was darin so alles akribisch notiert wurde. Tag der Einbringung, Dauer des Aufenthaltes etc. „Das waren rechtserhebliche Tatsachen, die mussten wir unbedingt festhalten“, sagt der einstige Dienststellenleiter.
„Ach ja, noch eine Frage“, meldet sich ein Junge. „Was war ihr spannendster Fall?“ Moldenhauer überlegt einen Moment. Dann legt er los: Im Sommer ’76, da habe die Besatzung einer Funkstreife im Dienst heimlich Türen eingetreten und Läden ausgeraubt. „Es war schwer, den Kollegen auf die Spur zu kommen.“
Um 2004 wurde der Abschnitt 31 im Bahnhof Zoo dann endgültig geschlossen, zuvor hatte man ihn schon verkleinert. Seither ist am Zoo nur noch die Bahnpolizei präsent. Aber zu dieser Zeit war Moldenhauer längst an anderer Stelle tätig. Er organisierte Großeinsätze zu Demonstrationen und Staatsbesuchen.

Im einstigen Knast arbeiten künftig Sozialarbeiter

Die Adresse unter den S-Bahngleisen übernehmen nun Wolfgang Nebel und dessen Kollegen von der Bahnhofsmission. 2,3 Millionen Euro soll der Umbau zum neuen „Zentrum am Zoo“ kosten, finanziert mit Lottogeldern, vom Bezirk und mit eigenen Mitteln. Sozialarbeiter und Psychologen sollen dort arbeiten, um Obdachlosen zurück in ein menschenwürdiges Leben zu helfen. Die jetzige Station im Bahnhof ist viel zu eng geworden. „Künftig haben wir 500 Quadratmeter mehr“, freut sich Nebel. Und sogar Bildungsräume statt Zellen, um beispielsweise Schulklassen einzuladen. Kinder und Jugendliche sollen dort eindrucksvoll lernen, wie Armut und Obdachlosigkeit entstehen – und eventuell auch Kriminalität.