/Christian Bale: “Sie sehen den allergewöhnlichsten Menschen, den Sie je gesehen haben”

Christian Bale: “Sie sehen den allergewöhnlichsten Menschen, den Sie je gesehen haben”

“Satan” selbst habe ihn bei der Darstellung des ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney inspiriert, sagte Christian Bale, als er im Januar den Golden Globe als Bester Schauspieler entgegennahm. Bei den Oscars ist er nun erneut als Bester Hauptdarsteller nominiert. Adam McKays Politsatire “Vice” ist ein bitterböses Porträt Cheneys von dessen Anfängen als Politiker bis zu seiner Rolle als Drahtzieher der Militärinvasion im Irak. Eigentlich möchte Bale in Berlin gar nicht über seine Rolle sprechen, tut es dann aber doch sehr redegewandt.

ZEIT ONLINE: Mister Bale, von Ihrem Kollegen Bradley Cooper wissen wir schon, welches Parfum er zur Oscarverleihung tragen wird. Hochinteressant, oder? Welchen Duft werden Sie denn zur Gala auflegen?

Bale: (lacht sehr laut)

ZEIT ONLINE: Finden Sie die Frage lachhaft? Ihre Agentur hatte im Vorfeld darum gebeten, Ihnen keine politischen Fragen zu stellen.

Bale: Oh, Sie können mich fragen, was Sie wollen. Ich entscheide dann, ob ich antworte.

ZEIT ONLINE: Im Vorspann von Vice heißt es: “Based on true facts”. Und weiter: “We did our fucking best.” Inwiefern?

Bale: Das ist ein Witz auf Kosten von Cheney. Er ist besessen von Geheimhaltung und will nie, dass irgendjemand irgendetwas erfährt.

ZEIT ONLINE: Als Vizepräsident von George W. Bush sagt er im Film, er und seine Leute hätten die täglichen Geheimdienst-Briefings noch vor dem Präsidenten erhalten, sodass sie den Entscheidungsprozess beeinflussen konnten. Es gab Stimmen, die das anzweifeln.

Bale: Doch, doch. Cheney bekam die Briefings vor dem Präsidenten. Das hat auch die Menschen, die damals im Weißen Haus arbeiteten, erstaunt. Psychologisch ist es durchaus knifflig, zwischen “Er ist mein Boss” und “Er ist es nicht” ständig hin und her zu wechseln. Aber Cheney ist sehr klug. Ein Schachspieler.

ZEIT ONLINE: Haben Sie ihn getroffen?

Bale: Das hätte ich wahnsinnig gerne. Ich ging auch davon aus, dass es klappen würde. Aber als ich alles über ihn gelesen, alle Fakten parat hatte und mich für ein Gespräch mit ihm in der Lage sah, kamen die Anwälte der Produktionsfirma auf mich zu und sagten: “Bitte, bitte, bitte, tu das nicht! Wir können jetzt den Film machen, Cheney würde ihn vermutlich verzögern.” Ich denke zwar, er selbst hat ein dickes Fell, aber seine Familie hätte es vermutlich getan.

ZEIT ONLINE: Hat Cheney sich je zu dem Film geäußert?

Bale: Nicht dass ich wüsste.

ZEIT ONLINE: Wenn Sie eine Figur spielen, fühlen Sie sich immer auffällig tief in deren Charakter ein, Sie kriechen beinahe in die Person hinein. Was haben Sie in Cheney gefunden?

Bale: Ich wollte wirklich verstehen, wie er die Dinge sieht, wie
er fühlt. Am schwersten fiel mir, das Ausmaß der Macht nachzuvollziehen, über das Cheney verfügte. Jeder von uns hat Momente, in denen alle auf einen
schauen, auf eine Antwort warten und diese dann auch akzeptieren – egal
was wir sagen. Aber so eine Machtfülle? 24 Stunden am Tag, sieben Tage
die Woche Entscheidungen zu treffen, die für viele Menschen tatsächlich
eine Frage über Leben und Tod bedeuten? Zu spüren, dass man dieser
Aufgabe gewachsen ist, habe ich nie ganz nachvollziehen können.

“Er konnte selbst erfahrene Militärs aus der Fassung bringen”

ZEIT ONLINE: Cheney hatte zunächst selbst das Präsidentenamt angestrebt. Als das unmöglich schien, zog er sich aus der Politik zurück. Warum
hat er Ihrer Ansicht nach schließlich doch das Amt des Vize unter
George W. Bush akzeptiert, das ihm immer so unattraktiv erschien?

Bale: Er agierte gerne im Schatten. Im traditionellen Wahlkampf war
er nicht gut. Er hat es einmal versucht, aber gemerkt, dass es
nirgendwohin führte. Ich glaube, er hat irgendwann sich selbst und seine
Stärke verstanden. Vize zu sein ist der undankbarere Job, aber der Präsident stattet ihn aus. Und George W. Bush hat diesen Job als unglaublich einflussreiche und machtvolle Aufgabe definiert. Er
brauchte Cheney, diesen erfahrenen Politiker, allein wegen des Respekts,
den man ihm entgegenbrachte. Deswegen hat Cheney den Zuschlag bekommen.

ZEIT ONLINE: Hatte er Charisma?

Bale: Nicht
wirklich. Aber er war sehr geduldig, sehr ruhig. So verdiente er sich
das Vertrauen der Leute. Zu jener Zeit hatte er etwas sehr Onkelhaftes
an sich. Man fühlte sich bei ihm in guten Händen. Außerdem hatte er ein
gutes Gespür dafür, wie der ganze Regierungsapparat funktionierte. Und
er besaß die Fähigkeit, selbst erfahrene Militärs aus der Fassung zu
bringen. Viele von ihnen sagten, dass sie nach Meetings mit ihm
erschüttert waren, weil ihnen klar wurde, dass sie gar nicht das gesagt
hatten, was sie eigentlich dachten – wegen Cheneys starker
Präsenz. Er saß oft einfach nur dabei, musterte die Leute und sagte
nichts. Aber alle wussten, dass Cheney den Präsidenten für sich
hatte, sobald sie den Raum verlassen hatten. Ihnen war klar: Er hält
alle Karten in der Hand.

ZEIT ONLINE: Wie schätzen Sie Cheneys Motivation für den Angriff auf den Irak ein?
War es Patriotismus? Oder, wie der Film gleich zwei Mal nahelegt, weil
er mit dem Krieg und durch Ölgeschäfte viel Geld verdienen konnte?

Bale:
Tatsächlich gibt es keinen Beweis dafür, dass er durch den Krieg viel
Geld verdient hat. Im Gegensatz zum gegenwärtigen
Präsidenten spendete er sogar viel. Das Geld, das er von Halliburton
erhielt …

ZEIT ONLINE: … dem
Industriedienstleistungskonzern, dessen Vorstandsvorsitzender Cheney in
den Jahren von 1995 bis 2000 war und der später für den Irak ohne
öffentliche Ausschreibung Exklusivverträge von der Regierung erhielt.

Bale:
Diese Summen waren alle vertraglich vereinbart und stammten aus der
Zeit, bevor er Vizepräsident wurde. Dennoch kann man natürlich
festhalten, dass Cheney viel Geld verdient hat während des Kriegs.
Der Kurs von Halliburton stieg um 500 Prozent und Cheney hatte Aktien.
Das ist so ähnlich wie bei dem Chemiekonzern DuPont im Ersten Weltkrieg.

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