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Kontingentflüchtlinge: Meine Oma arbeitet nicht, sie schuftet

Wir kamen als jüdische Kontingentflüchtlinge 1996 nach Deutschland. Meine Großmutter ist heute 70, hat Schmerzen und geht immer noch arbeiten. Das muss sich ändern.

Als ich Mitte der Neunzigerjahre mit meiner Familie nach Deutschland kam, ahnte meine Oma wahrscheinlich noch nicht, dass sie im Alter in Armut leben würde. Ein paar Jahre zuvor war die Sowjetunion zerfallen und damit das Zuhause meiner Familie. In ihrer neuen Heimat Transnistrien herrschte Krieg. Als ich 1993 geboren wurde, war der zwar vorbei, aber meine Eltern und Großeltern sahen in dem zerstörten Landstrich keine Zukunft mehr. Also brachen sie auf, in der Hoffnung auf ein gutes Leben im Westen.

Im Jahr 1996 kamen wir in Bayern an, man nannte uns jüdische Kontingentflüchtlinge. Der Begriff geht auf einen Beschluss in der DDR-Volkskammer zurück. Offiziell gab es in dem sozialistischen Bruderstaat, der Sowjetunion, keinen Antisemitismus, keine Verfolgung von Jüdinnen und Juden. Also mussten Fakten geschaffen werden. Mehr als 200.000 Jüdinnen und Juden und ihre Familien zogen in den Neunzigerjahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Eine jüdische Emigration nach Deutschland hat es offiziell allerdings nie gegeben.

1991 übernahm das wiedervereinigte Deutschland das Vorhaben und unter Bundeskanzler Helmut Kohl wurden Gesetze verabschiedet, die es osteuropäischen Juden ermöglichten, einzuwandern. Man behandelte uns nach dem sogenannten Kontingentflüchtlingsgesetz. Man gab uns Asyl und eine Aufenthaltserlaubnis, nahm uns aus “humanitären Gründen auf”, als wären wir Kontingentflüchtlinge.

Tag für Tag arbeitete meine Oma in einem dunklen, gefliesten Keller und schmierte überteuerte Fischbrötchen.

Doch die Aufnahme von Juden aus Osteuropa war nur Symbolpolitik. Aus Deutschland rief man ihnen zu: Kommt zu uns, denn wir brauchen endlich wieder jüdisches Leben in Deutschland! Und sie kamen. Wirtschaftliche Gleichstellung und Anerkennung im Alter, das sollte meine Oma erst später begreifen, garantierte man ihnen nicht.

Nach Monaten im Asylheim zogen meine Großeltern in eine Sozialwohnung. Tag für Tag arbeitete meine Oma in einem dunklen, gefliesten Keller einer Restaurantkette und schmierte überteuerte Fischbrötchen, die privilegierte deutsche Familien kauften. Viele Kolleginnen meiner Oma waren jüdische Kontingentflüchtlinge, sie einte ein Schicksal. Das Geld reichte eigentlich nie. Und Freizeit gab es für meine Oma auch nicht: Wenn sie keine Brötchen schmierte, ging sie bei gut verdienenden Familien putzen. Sie arbeitete nicht, sie schuftete.

16 Jahre nach unserer Ankunft in Deutschland wurde meine Oma krank, Bandscheibenvorfall. Langes Stehen und jede Bewegung waren eine Qual. Sie musste in Frührente gehen. Um die 200 Euro im Monat erhielt sie, und weil die nicht ausreichten, um zu überleben, ging sie arbeiten, unter Schmerzen. Sie schleppte sich in die Häuser und Wohnungen der Reichen, um weiter dort zu putzen.

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