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Deutsche und Europa: Zu viel Germany first

Die Deutschen sind Europafans. Achtzig Prozent halten die Mitgliedschaft in der EU für eine gute Sache, zwei Drittel glauben, die EU sei gut für Deutschland. Obendrein halten die Deutschen sich auch für ziemlich gute Europäer, die das Große und Ganze im Blick haben. So die Meinung über uns selbst.

Leider stimmt das deutsche Selbstbild oft nicht mit der Realität überein. In diesen Tagen begegnen deutsche Außenpolitiker immer mehr Europäern, die unsere Politik für überhaupt nicht europafreundlich halten. Im Gegenteil: Sie finden, dass die Deutschen in vielen Politikfeldern allein vorpreschen und erwarten, dass andere ihnen folgen. “Germany first!”, so wirkt das.

Sichtbar wurde das jetzt im Streit über die Ostseepipeline Nord Stream 2, die Erdgas aus Russland nach Deutschland bringen soll. Eine Mehrheit der EU-Staaten ist aus vielerlei Gründen gegen diese Rohrleitung, aber Berlin hat die Einwände jahrelang vom Tisch gewischt mit der Bemerkung, es sei ein rein wirtschaftliches Projekt. Erst als kürzlich Frankreich in Brüssel erstmalig gegen deutsche Interessen zu stimmen drohte, war Berlin zu einem Kompromiss bereit. Die Pipeline wird gebaut, aber über die Details wird Brüssel am Ende mitreden können.

Energiepolitik? Machen wir alleine

Nord Stream 2 steht nur stellvertretend für deutsche Alleingänge. Die deutsche Energiepolitik ist ein Feld, in das sich deutsche Regierungen noch nie gern hineinreden lassen wollten. Und das, obwohl die EU-Staaten schon mehrfach vereinbart haben, ihre Energiepolitik zu europäisieren und zu integrieren. Die Deutschen haben dagegen stets ihr Ding gedreht. Es begann mit der ersten Nord-Stream-Pipeline nach 2005, die damals schon mächtig Ärger machte. Die einseitigen Entscheidungen setzten sich fort im Atomausstieg, von der rot-grünen Koalition begonnen, von Merkel 2011 endgültig beschlossen. Absprache mit anderen Europäern? Kein Stück. 

Dabei hat das alles Auswirkungen auf ganz Europa. Der Ausbau der Windkraft in Deutschland sorgt für Überkapazitäten im europäischen Stromnetz, was unsere Nachbarn in Schwierigkeiten bringt. Jetzt steigen die Deutschen aus der Kohle aus, wofür wirklich sehr viel spricht. Aber mit der EU-Kommission oder anderen Kohleverbrennungsländern haben wir das nicht abgestimmt. Unser Ding.

Es gibt noch andere Bereiche, wo wir unsere Linie stur durchziehen. In der Europolitik haben die Deutschen viele Jahre unsere Ansichten von Schuldenbremsen, Sparplänen und Abspecken durchgesetzt. Klar, wir hatten dafür Verbündete, aber ohne uns wäre es so nicht gelaufen. Griechenland, das sich selbst heruntergewirtschaftet hatte und nicht wehren konnte, bezahlte das Abspecken mit einer viel zu harten und zu langen Wirtschaftskrise

Auch mal den anderen recht geben

Natürlich haben die Deutschen häufig gute Gründe und ganze Aktenschränke voller Argumente, auch moralischer Art. Zum Beispiel beim Rüstungsexport. Den Export in Spannungsgebiete und autoritäre Staaten wie Saudi-Arabien lehnen die meisten Deutschen ab. So auch die große Koalition, die Verkäufe an Länder gestoppt hat, die im Jemen Krieg führen. Deshalb kann Frankreich, das Rüstungsexport als festen Teil seiner Außenpolitik sieht, derzeit eine mit deutscher Beteiligung produzierte Waffe nicht an Saudi-Arabien ausliefern. Paris schäumt, doch nicht nur wegen dieses Geschäfts. 

Deutsche und Franzosen wollen ihre Rüstungsindustrie zusammenlegen, teilweise mit anderen Europäern. Europa soll eine unabhängige, starke Rüstungsindustrie als Rückgrat einer EU-Verteidigungspolitik haben. Keiner möchte bei der Wehrhaftigkeit von Trump oder Putin abhängen. Aber mit Verkäufen an Deutschland, die Niederlande und Luxemburg wird sich keines der Rüstungsprojekte rechnen. Und gut werden solche Waffen erfahrungsgemäß erst dann, wenn sie sich dem Wettbewerb auf dem Weltmarkt stellen. So reden Franzosen und die anderen Europäer. Berlin ist da ganz allein.

Deutschland steht in einer zunehmenden Zahl von Politikfeldern vor harten Entscheidungen. Wollen wir so vorangehen, wie wir es für richtig halten, sauber, gerade und allein? Oder wollen wir uns – ob Energie, Rüstung, Finanzen – mit unseren Nachbarn stärker abstimmen und dabei manches tun, was wir allein nicht täten? Sicherlich ist diese Frage nicht eindeutig und gleich für alle Fälle zu beantworten. Aber eines ist klar: Wenn die Deutschen die guten Europäer sein wollen, für die sie sich jetzt schon halten, werden sie auch mal den anderen recht geben müssen. Und sich selbst ein bisschen verbiegen.

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