/Autoindustrie: Eine Verlobung aus Vernunft

Autoindustrie: Eine Verlobung aus Vernunft

So viel Einheit war selten zwischen Konkurrenten. Zumindest, was die
großen Autohersteller angeht. Als sich Daimler-Chef Dieter Zetsche Freitagmorgen
in der Start-up-Location The Tunnel unter dem Potsdamer Platz in Berlin zu BMW-Chef
Harald Krüger setzt, klopft er ihm väterlich auf die Schulter. Small Talk, Fotos, gute Laune.

Die beiden haben Gewaltiges zu verkünden. Die zweit-
und
drittgrößten Autokonzerne Deutschlands – Daimler und BMW – legen ihre
Zukunft
zusammen. Sie gründen fünf Gemeinschaftsunternehmen, die die
Mobilität
von Morgen prägen sollen. Eins jeweils für das Carsharing von DriveNow (BMW) und
Car2go (Daimler)
, Ride Hailing (Taxi- und Uber-ähnliche Fahrten), elektrisches Laden,
automatisierte Parkplatzsuche und schließlich eins für die
Buchung verschiedener Verkehrsmittel. Alles aus einem Guss. Dieter Zetsche
begründet das so: “Wir wollen Pionier sein und nicht nur von der
Seitenlinie zuschauen.”

Der Wettbewerb der Autobranche bekommt
gerade neue Regeln. Es geht um die Frage, wie die Menschen künftig durch
die
Städte reisen. Das eigene Auto wird dabei nur noch selten die erste Wahl
sein
. In dichten Innenstädten ist es zu oft unpraktisch. Schlechte
Aussichten für zwei Konzerne, die zuletzt 100 Milliarden (BMW) oder gar
170
Milliarden Euro (Mercedes) überwiegend mit dem Verkauf dieser Autos
verdient haben. Wie kommen wir künftig
zum Shoppen und zur Arbeit? Taxi, Bus und U-Bahn wird es weiter geben. Aber sonst?

Die gemeinsame Antwort auf Uber heißt Free Now

Das Verkehrsministerium arbeitet gerade an neuen Regeln, die
es Unternehmen wie Uber erleichtern könnten, auch in Deutschland
durchzustarten. Bisher verhinderte ein altes Personenbeförderungsgesetz
unter anderem das Geschäftsmodell von Uber. Fahrerinnen und Fahrer sollen nicht länger nur einen Kunden zum Ziel bringen, sondern unterwegs wie ein Bus
weitere aufnehmen können.

Free Now heißt die gemeinsame Antwort von Daimler und BMW.
In der Presseerklärung sprechen die Konzerne von weltweit 21 Millionen Nutzern der Dienste, die sie zusammenlegen wollen. Zum Vergleich: Uber allein soll zwischen 75 und
100 Millionen Nutzerinnen und Nutzer haben. Zetsche weiß, was damit einhergeht: “Es geht ums
Wachstum. Wir werden nicht in jedem Markt die Nummer eins sein, aber dort, wo es
geht.”

Die Nummer eins. Damit hat Daimler Erfahrung. Einst wollten
die Stuttgarter zusammen mit Chrysler zum weltgrößten Autobauer wachsen. Von
der “Hochzeit im Himmel” sprach der damalige Chef Jürgen Schrempp. Sie endete
eher im Rosenkrieg
, einer der Beteiligten: Chrysler-Sanierer Dieter Zetsche.

Sie wollen Konkurrenten bleiben

Kein
Wort von Hochzeit am Freitagmorgen: Sie bleiben
Wettbewerber, betonten beide Chefs. Es ist dann wohl eher eine
Verlobung – aber
selbst das ist ein Riesenschritt, wie auch der Präsident des Verbandes
der Automobilindustrie, Bernhard Mattes, ZEIT ONLINE sagt: “Vor Jahren
hat man alles unter das Thema Marke
gestellt und gesagt: Markenidentität verlangt, dass wir praktisch alles
alleine machen. Dass jetzt immer mehr
Kooperationsüberlegungen kommen, ist neu und zeigt, dass die deutsche
Automobilindustrie gewillt ist, schnell und flexibel auf die
aktuellen Herausforderungen zu antworten.”

Diese Zuversicht teilt auch BMW-Chef Krüger: “In zehn
Jahren werden wir sagen, das war ein wichtiger Tag für die Mobilität.” Die
Manager vertrauen darauf: Egal, mit welcher App die Menschen zukünftig eine Fahrt buchen – am Ende sitzen sie doch oft genug in einem Auto. Am besten in einem, das sie nicht nur gebaut haben, sondern an dessen Nutzung sie auch noch verdienen.

Und was sagt dieser Dieter Zetsche, der schon einmal erlebt
hat, wie schmerzhaft eine Hochzeit enden kann, zur Zukunft dieses eine Milliarde
Euro teuren Gemeinschaftsunternehmens? “The sky is the limit.”
Klingt ähnlich euphorisch wie früher. Aber so ist das eben, wenn man frisch
verlobt ist.

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