/Abgasskandal: “Es bestehen sehr wohl Ansprüche gegen VW”

Abgasskandal: “Es bestehen sehr wohl Ansprüche gegen VW”

Welche Rechte haben
Verbraucherinnen und Verbraucher, die ein manipuliertes Dieselauto gekauft
haben? Dazu sind derzeit Zehntausende Klagen vor Gerichten anhängig. In vielen
Fällen hat sich VW mit Kunden bereits auf einen Vergleich geeinigt – so
auch zuletzt bei einem Fall, der dem Bundesgerichtshof vorlag.

Trotz der Einigung veröffentlichte der BGH seine Einschätzung zur Sachlage. Darin stufte er die
Manipulation an Dieselautos durch VW als Sachmangel ein. Die Veröffentlichung sei
ein ungewöhnlicher Schritt, sagt Ralph Sauer. Er ist Rechtsanwalt bei der
Kanzlei Russ Litigation, die für den Verbraucherzentrale Bundesverband die
Musterfeststellungsklage gegen VW führt.

ZEIT ONLINE: Herr
Sauer, was bedeutet der BGH-Beschluss für die Besitzer eines VW-Diesels?

Ralph Sauer: Der
BGH bezieht sich in seiner Einschätzung zunächst nur auf die VW-Händler. Volkswagen
selbst spielt vordergründig gar keine Rolle – trotzdem ist der Beschluss ein bedeutendes
Signal. Der BGH sagt darin: Alle Geschädigten im VW-Skandal könnten
grundsätzlich berechtigte Ansprüche haben. Dass der BGH einen Hinweisbeschluss
veröffentlicht, ist völlig untypisch, das habe ich so noch nie erlebt.

ZEIT ONLINE: Warum
tut er es jetzt?

Sauer: Das
Gericht setzt damit ein Gegengewicht zu der Berichterstattung über Urteile, die
VW gewonnen hat. Die Sachverhalte in diesen Prozessen waren eigentlich atypisch.
Aber durch sie ist der Eindruck entstanden, man habe gegen VW juristisch keine
Chance. Jetzt nutzt der BGH dieses Verfahren, um eine Entscheidung zu
veröffentlichen, die besagt: Es bestehen sehr wohl Ansprüche.

ZEIT ONLINE: Was heißt es für VW-Diesel-Fahrerinnen und -Fahrer, wenn die Richter die
Manipulationen nun als Sachmangel einstufen?

Sauer: Der Beschluss
bestätigt, dass die Täuschung einen negativen Einfluss auf das Fahrzeug hat: Es
gibt einen Schaden, der Wagen ist mangelhaft. Daraus ergeben sich Ansprüche auf
Schadenersatz, Nachbesserung oder gar ein gleichwertiges Auto als Ersatz. Der Beschluss greift künftigen Urteilen in Klagefällen gegen
den Hersteller oder Rückabwicklungsklagen dabei nicht vor, aber durch ihn
positioniert sich der BGH aufseiten der Verbraucher. Deren Ansprüche sind
übrigens noch nicht verjährt, wie manchmal berichtet wird. Frühestens Ende
dieses Jahres wird es so weit sein.

ZEIT ONLINE: Eine
Hardware-Umrüstung wäre eine Nachbesserung?

Sauer: Ja, aber das
Problem dabei ist: Eine Nachbesserung kommt in diesem Fall gar nicht infrage,
denn sie führt zu Veränderungen am Fahrzeug – und das darf nicht sein. Zum
Beispiel kann sich durch die neue Hardware der Kraftstoffverbrauch erhöhen. Und
auch ein Software-Update kann zu unerwünschten Effekten führen. Wir wissen von Hunderten
Leuten, die danach Probleme hatten: Es stinkt nach Benzin, das Fahrzeug ist
lauter. Selbst wenn objektiv nach den Umrüstungen alles wieder in Ordnung ist,
so kann jede Veränderung am Auto zu Wertverlusten führen. Selbst wenn es nur
ein Prozent ist, ist das ein Nachteil.

ZEIT ONLINE: Welche
Auswirkungen hat der Beschluss auf andere Verfahren?

Sauer: Für die Musterfeststellungsklage
zum Beispiel oder die Klagen, die auf der Plattform myRight gesammelt werden, hat
er keine Folgen. Da ist VW wegen Betrugs angeklagt – und ein Betrüger darf nicht
reparieren. Er muss das Auto zurücknehmen.

ZEIT ONLINE: Was der BGH heute veröffentlicht hat, ist kein Urteil, sondern ein sogenannter Hinweisbeschluss. Was ist der Unterschied?

Sauer: Das
Gericht möchte den Parteien mitteilen, wie es die Sache sieht. So gibt es ihnen
die Möglichkeit, sich noch vernünftig
zu einigen. Im vorliegenden Fall hat der beklagte Händler, nachdem er den Beschluss kannte, dem Kläger vermutlich eine etwas höhere Summe geboten als ursprünglich beabsichtigt, damit dieser sich auf einen Vergleich einlässt und es nicht zu einem Urteil kommt. Das ist schon in sehr vielen Prozessen gegen VW geschehen.

ZEIT ONLINE: Angenommen, es hätte vor dem BGH diesmal keinen Vergleich gegeben, sondern das Gericht hätte zu einem Urteil kommen müssen: Wie hätte es aussehen können?  

Sauer: Ich gehe
davon aus, dass der BGH die Entscheidung an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen hätte mit dem Auftrag, ein Sachverständigengutachten zur Frage einzuholen,
ob ein Software-Update zur Mängelbeseitigung tauglich ist. Das braucht es, denn der BGH stellt auch klar:
Die Neulieferung eines Autos ist grundsätzlich möglich, aber sie muss
verhältnismäßig sein. Andererseits sagt der BGH auch: Wenn der Kunde Anspruch auf einen Ersatzwagen hat, dann muss das nicht genau das gleiche Modell sein. Falls der Händler das alte Modell nicht mehr anbietet, muss er eben ein neues liefern. Man muss also immer alle Möglichkeiten der Mängelbeseitigung im Zusammenhang betrachten.

ZEIT ONLINE: Sie
klingen sehr euphorisch, obwohl in dem Hinweisbeschluss nur von “vorläufiger
Rechtsauffassung” die Rede ist und dass von einem Sachmangel “auszugehen sein
dürfte”.

Sauer: Hinweisbeschlüsse
sind immer so geschrieben. Das Gericht sagt: Das ist unsere aktuelle
Rechtsauffassung, beide Parteien können sich noch mal äußern und uns
überzeugen, aber aktuell sehen wir das so. Nur in drei von 100 Fällen ändert
das Gericht später vielleicht noch seine Meinung.

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