/Wilhelmsburger Zinnwerke: “Lasst uns nur machen”

Wilhelmsburger Zinnwerke: “Lasst uns nur machen”

Ein Zeichen der Hoffnung gibt es schon für die Zinnwerker: Der FlohZinn soll zurückkehren. Insgesamt 5.000 Euro machte der Bezirk Mitte
gestern Abend für den Fortbestand des beliebten Flohmarkts in Wilhelmsburg locker.
Auch das Ringen um die Zukunft des Areals hat die nächste Runde erreicht. Am
Mittwochabend präsentierte die Kreativ Gesellschaft im Bürgerhaus Wilhelmsburg die
Ergebnisse ihres umstrittenen Ideenfindungsprozesses.

Im Stadtteil, aber auch darüber hinaus hatte sie Ideen dazu
gesammelt, was in Haus, Hallen und Hof am Veringkanal entstehen könnte. Aus
Sicht der jetzigen Nutzergemeinschaft völlig unnötig: Es sei doch längst alles
da, was sich Stadtentwickler mit Herz für Kreative wünschen könnten, und
darüber hinaus hätte auch die Nutzergemeinschaft allerhand Ideen. Einige davon
stellte sie am Mittwochabend ebenfalls vor – als Gegenentwurf zu denen, die die
Kreativ Gesellschaft ermittelt hatte.

Am Ende könnte die Bezirksversammlung also doppelt Post
bekommen: einerseits fünf Leitideen aus dem Prozess der Kreativ Gesellschaft,
die auf klare Profile wie Musik Village Wilhelmsburg oder BauKulturOrt setzt.
Andererseits ein leidenschaftliches Werben der bestehenden Nutzergemeinschaft
um Sympathie und Vertrauen in ihr kreatives Schaffen.

Bei der Vorstellung ihres eigenen Konzeptentwurfs ließen die Zinnwerker keinen Zweifel daran, wie viel sie auf dem ehemaligen
Betriebsgelände schon verwirklicht hatten – vom Flohmarkt bis zum Schulprojekt,
vom Filmdreh bis zum selbst gebackenen Brot. Tenor ihrer Präsentation: Wir sind
offen für alles. Aber ihr seht ja, wie viel Gutes entsteht, wenn man Leute wie
uns einfach machen lässt.

Wer bekommt acht Millionen Euro?

Ob das die Bürgerschaft überzeugen kann, am Ende geschätzte
acht Millionen Euro aus der Staatskasse lockerzumachen, um das Areal dem
künftigen Zweck entsprechend zu sanieren? Aus Sicht der rund 70-köpfigen
Sympathisantenschar, die den Zinnwerkern im Bürgerhaus Wilhelmsburg Beifall spendete,
hätte die Bezirksversammlung Mitte die Kreativ Gesellschaft gar nicht erst
beauftragen müssen. Deren Geschäftsführer Egbert Rühl fühlt sich jedoch den
Teilnehmern des Ideenfindungsprozesses verpflichtet. “Wir werden nicht darauf
verzichten, die Leitideen, die im Verfahren entstanden sind, einzureichen”,
erklärt Rühl. Allen Streitigkeiten zum Trotz zeigt er sich zufrieden. Am Ende
hätten sich doch alle konstruktiv eingebracht.

Inhaltlich sind sich die Ideen auch gar nicht so fern. Alle
Konzeptentwürfe setzen auf öffentlich bespielbare Freiräume, Flächen für
kreative Unternehmen und kulturelle Angebote für den Stadtteil. Auch sollen
bestehende Büroflächen sowie der Platz für den Flohmarkt erhalten bleiben. Ein
Kompromiss scheint denkbar. Nur: Wer führt dabei die Feder? Die eine Seite
sieht sich beauftragt. Die andere fühlt sich berufen.

Spannend wird es nun für die Bezirksversammlung
Hamburg-Mitte. Denn im Zweifel muss sie eine Lösung finden, die die
Bürgerschaft überzeugen soll. Die Entscheidung soll noch vor der Bezirkswahl im
Mai fallen. “Was wir noch brauchen, ist die Idee, dass das finanziell auch
funktioniert”, sagt Klaus Lübke, Bezirksabgeordneter der SPD. Es solle
schließlich kein ständiger Zuschussbetrieb entstehen. Auch für die
Grünen-Abgeordnete Sonja Lattwesen ist entscheidend, wer der künftige Träger
des Konzepts sein soll: “Eine dauerhafte Querfinanzierung soll es nicht geben.”
Die Kreativ Gesellschaft präsentierte am Mittwoch hierfür zwar Ansätze, aber
noch keine fertige Lösung. Die Zinnwerke halten es für einen Vorteil, die Frage
vorerst offen zu lassen.

Zuerst wollen die derzeitigen Nutzer eine ihrer zentralen
Forderungen geklärt wissen. Als kreative Pioniere verlangen sie Bestandsschutz
und fordern, selbst über die Zukunft der Zinnwerke als “Ort für alle in
Wilhelmsburg” entscheiden zu können. Dazu muss sich die Gemeinschaft neu
organisieren. Denn bisher vertraten zwei Firmen ihre Interessen: die
Kommunikationsfirma “morgen” und die Hirn und Wanst GmbH, die seit Jahren in
den Zinnwerken aktiv ist.

Ihnen eine Bestandsgarantie auszusprechen, ist schwer
denkbar, wie Egbert Rühl auf Nachfrage mitteilt: “Was würden Sie denn zu Recht
schreiben, wenn die Stadt acht Millionen Euro öffentliches Geld als nicht
refinanzierbare Kosten in den Sitz irgendeiner GmbH investieren würde und
dieser eine Bestandsgarantie gäbe?” Ein Verein als Struktur bilde zumindest die
Grundlage dafür, dass eine breitere Beteiligung möglich sei. Auch für die
SPD-Fraktion im Bezirk ist das ein wichtiges Kriterium, wie Klaus Lübke sagt:
“Wenn so viel Geld fließt, dann muss auch gewährleistet sein, dass wirklich die
Allgemeinheit davon profitiert.”

Das soll nun geschafft sein. Vor einigen Tagen gab die
Nutzergemeinschaft die Gründung des Zinnwerke e.V. bekannt, am Mittwochabend
im Bürgerhaus präsentierten sie sich als frischgebackene Vereinsmitglieder samt
Vorsitzendem. Auch im Impressum der Internetseite zinnwerke.de stehen nun nicht
mehr die beiden Firmen, sondern der Verein. In Klammern dahinter: “In
Gründung”.

Beim zuständigen Amtsgericht weiß man von dieser Gründung allerdings
noch nichts. “Es gibt keinen eingetragenen Verein mit diesem Namen, und eine
Anmeldung für einen solchen Verein liegt auch nicht vor”, teilt die
Gerichtspressestelle mit. Laut Nutzergemeinschaft wäre man gerade mittendrin.
Am Tag nach der Gründung, somit am 12. Februar, habe man alle Unterlagen zum
Notar geschickt. Offenbar sind die Papiere noch unterwegs. Eine geltende
Satzung gebe es auch erst, wenn das Gericht zugestimmt hätte. Offen für
Mitglieder außerhalb der Nutzergemeinschaft soll der Verein jedoch vorerst
nicht sein.

Der Nutzerverein sei die richtige Form, um als
“verantwortungsvolle juristische Organisation” handeln zu können, schreiben die
Zinnwerker. “Aber wir sind dabei, Möglichkeiten zu schaffen, damit sich auch
Nicht-Zinnwerkerinnen an der Entwicklung der Zinnwerke beteiligen können. Das
ist eines unserer wichtigsten Anliegen!” Langfristig werde man sich öffnen.
Dann soll “auch eine passive Fördermitgliedschaft möglich sein”.

Dies ist ein Artikel aus dem Hamburg-Ressort der ZEIT. Hier finden Sie weitere News aus und über Hamburg.

Hits: 35