/“Charité”: Unsere Ärzte, unsere Schwestern

“Charité”: Unsere Ärzte, unsere Schwestern

Fehlt eigentlich nur noch der Krimi. In der zweiten Staffel
von Charité feiern ein beliebtes deutsches Fernsehformat und ein
nicht minder beliebter deutscher Filmstoff freudig Vermählung: die
Krankenhausserie und die Nazizeit. Die Braunwaldklinik, könnte ein
Spaßvogel scherzen, wenn es sich nicht um eine ARD-Sendung in MDR-Verantwortung
(Redaktion: Jana Brandt, Johanna Kraus) handeln würde.

Daher erscheint die sogenannte Sachsenklinik als das bessere
Vorbild, wobei der Titel treffenderweise abgeändert werden müsste zu In
aller Feindschaft
. Denn das weltberühmte Berliner Krankenhaus erweist
sich in der sechsteiligen Serie als, natürlich, Hort des Widerstandes gegen
diesen schlimmen Adolf Hitler. Vor allem in der ersten Hälfte des
viereinhalbstündigen Programms werden pausenlos Sprüche geklopft und Witze gerissen
(“Meine Frau hätte mir noch den Führer als Hakenhalter
untergeschoben”; “Sie haben ja mehr internationale Kontakte als mein
Chef Ribbchentrop” – Ribbchentrop, haha”), auch wenn klar ist, dass
das Gefahr birgt (“Passt auf, was ihr sagt, in der Heimat gelten andere
Regeln”). Aber was soll man machen, wenn einem als nachgeborenes Drehbuch
(Dorothee Schön, Sabine Thor-Wiedemann) das Interesse an einem wahren Sittenbild
der Zeit von 1943 bis 1945 zu kompliziert und abtörnend erscheint – irgendwie
muss das Wissen um die Schuld ja kompensiert werden.

Und so reiht sich in Charité (produziert von Ufa Fiction) auch die
Goebbels-Gattin Magda (Katharina Heyer) ein in die Schar derer, die munter Gags
performen: Er sei eine Kaulquappe, hieße es über ihren Mann, “ein Großmaul
mit Schwanz”. Wenn schon die Frau Propagandaministerin zu scherzen
beliebt, wer soll dann nicht gegen die Nazis gewesen sein? Die Stimmung ist
also gut zwischen den medizinhistorischen Diskursen, die Charité
zum Ausweis seiner Charité-haftigkeit immer wieder einschiebt.

Der erzählerische Schematismus der Serie, von dem die für
die Besetzung limitierten Rollen künden, orientiert sich an der
Überschaubarkeit eines Krankenhausabendbrots. Die Fachbegriffsintermezzi fungieren
als Apfel, knackig und gesund, die Vitamine des Bildungsauftrags, der doch
irgendwo im Kleingedruckten aller Emotionalitätsseligkeit für die ARD vermerkt
ist. Als durchgelappertes Graubrot liegen historische Referenzen in dem Film
von Anno Saul rum – garniert von einem Klecks Frischkäse, der den fehlenden
Herzschmerz dazuerfindet, den die Geschichte, diese unzuverlässige Trulla,
nicht mitgeliefert hat.

Der schwule Bruder und die Nazikrankenschwester

Hauptfigur Anni Waldhausen (backfischig: Mala Emde) ist so
ein Inhaltszusatzstoff, den es exklusiv in der Geschichte von Charité gibt. Als angehende Ärztin und Mutter bringt sie einen
karrieristischen Mann (Artjom Gilz) und einen dissidenten Bruder (Jannik Schümann) mit. Der Bruder ist schwul und in den Pfleger Martin (Jacob Matschenz) verliebt, muss sich zugleich aber der Avancen (und Denunziationen)
von Nazikrankenschwester Christel (Frida-Lovisa Hamann) erwehren.

Der Waldhausen-Gatte dagegen deckt das Themenfeld Euthanasie ab – er forscht an Menschen für sein Fortkommen und
scheut nicht davor zurück, dass eigene, kranke Kind in einer der Kliniken
abgeben zu wollen, die “lebensunwertes” Leben
“lebensunwert” behandeln. Als Bestandteil einer glücklichen Ehe disqualifiziert
Dr. Waldhausen sich allerdings schon in dem Moment, in dem Anni seiner frühen
Samenspendertätigkeit auf die Spur kommt – für Fernsehfilmvorstellungen ist eine idyllischer Familie nicht denkbar, wenn das gemeinsame Kind mit lauter unbekannten Halbgeschwistern rechnen muss.

Anni Waldhausen macht durch, was in Drehbuchseminaren “Entwicklung”
heißt – von der unpolitisch-naiven jungen Frau emanzipiert sie sich tapfer zum
besseren Menschen, der im Epilog des Films aus dem Off vermelden kann, sich vom
bösen Gatten getrennt und für die Tochter ein fürsorgliches Umfeld gefunden zu
haben in der anbrechenden neuen Zeit.

Im Epilog gibt Anni weiterhin darüber Auskunft, wie es
anderen handelnden Figuren nach 1945 erging – vor allem denen, die nach
historischem Vorbild entworfen wurden. Damit wird die problematische
Vermischung von Fiktion und Geschichte anschaulich, die Charité
betreibt – die erfundenen Figuren werden gleichberechtigt behandelt und
erzählt; sie sind nicht etwa, was ein plausibler Kunstgriff hätte sein können,
Sonden, die in die Geschichte führen.

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