/Elternzeit: Ich bin raus

Elternzeit: Ich bin raus

Ich bin raus. Aus der Arbeitswelt. Hinter mir liegen Konferenzen und Deadlines. “Vor dir liegt eine kostbare Zeit”, sagt die Kollegin am Telefon. “In der Elternzeit lernt man sich selbst ke…” Die Verbindung bricht ab. Vor mir liegen auch ein Fluss, ein Wald und ein Mittelgebirge. Daher liegen Handynetze oft hinter mir.

Der Empfang ist so märchenbarock wie die Stadt, in der ich meine Elternzeit verbringe. Die Bewohner sind eher altbarock. Die Haare der Frauen sehen aus, als würden Flamingos darin nisten. Die Männer brummen in Bärte und Bäuche. Der Mensch, der mir viel bedeutet, arbeitet hier. Sie arbeitet viel, braucht keinen Empfang und sagt: “Außerdem muss ich hier auch niemanden kennenlernen.” Ich gehe viel spazieren. Mit Empfang und Kennenlernen klappt es trotzdem nicht. Ich lerne anderes:

1) Den Kinderwagen und ein Dutzend Einkäufstüten in den Bus zu heben und dabei zu streiten. Am Telefon. Mit meiner Mutter, die fragt: “Wie läuft dein Babyurlaub?” – “Elternzeit!”, rufe ich, und: “Gut läuft sie!” Die Verbindung bricht ab.

2) Während dieser Busfahrten die Fingernägel des Minis zu schneiden, weil es nur still hält, wenn es schläft, und nur schläft, wenn es brummt.

3) Überall den Po des Mini mit Creme zu verzieren, als wäre er das Gewölbe der Sixtinischen Kapelle.

4) Zu singen, krabbelgruppenöffentlich. Der Gruppenleiter spielt Gitarre mit geschlossenen Augen. Außer beim Begrüßungslied. Da heißt er jeden willkommen: “… all unsere Mamas sind da, und unser Papa ist da!” Er lächelt. Die Mamas lächeln. Der Papa lächelt nicht. Ich muss den Ton halten.

In der Zeitung, in der ich das Schreiben lernte, nahm die Zahl der Redakteure stetig ab und die der Legenden zu. Am populärsten: der Kolumnist. Persönlich kannte ihn keiner mehr, seine Geschichte kannte jeder. Als Reporter preisgekrönt, als Reiseteilchef anerkannt, als Panoramaredakteur akzeptiert, am Ende Schreiber einer kleinen Rubrik mit dem Titel: “Der Kolumnist, der was vermisst”. Was er vermisste, wurde erst am Ende klar: Geld. Das schrieb er in einer Abschiedsmail. Sein mit Abstand bester Text seit Jahren, mit Schlusssätzen, die nach Entlassungen in der Redaktion oft Trost spendeten: “Außerdem hasse ich Schreiben. Deshalb Gastro. Lieber aufrecht hinterm Tresen als gebückt am Schreibtisch.”

Nach dem Tag mit dem Mini beginnt der Abend mit dem Mini. Wir essen, lesen, schlafen. Das Mini tief. Ich gar nicht. Ich checke die Mails der Redaktion. Jungredakteure laden zum Netzwerken ein. Ich fühle mich alt. Kollegen entwickeln ein Elternheft. Ich fühle mich ignoriert. Der Chefredakteur kündigt neue Korrespondenten an. Ich fühle nichts mehr. Ich denke über meine Träume nach.

“Lieber aufrecht hinterm Kinderwagen als gebückt am Schreibtisch.”

Der Krabbelgruppenleiter

“… und der Papa sieht blass aus!”, singt der Krabbelgruppenleiter am nächsten Tag. Ich lächele. Und erzähle später von Netzen und Netzwerken, von Elternzeit und E-Mails. Er hört zu. Lange. Dann sagt er: “Lieber aufrecht hinterm Kinderwagen als gebückt am Schreibtisch.”

Als ich durch das Märchenbarock nach Hause spaziere, sehe ich eine Frau. Altbarock. Flamingohaar. Auf ihrem Pulli steht:
“Do something awesome.”
Sie zieht an einer Zigarette.

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