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ÖVP: Der Unterschätzte

Früher sind ihm die Freundinnen weggelaufen, weil er ihnen zu ruhig
erschien. Das ist keine maliziöse Behauptung eines Journalisten über den EU-Kommissar Johannes Hahn. Natürlich: “Alles lange her”, sagt Johannes Hahn. Außerdem: “So viele sind es auch nicht
gewesen, die weggelaufen sind.” Dann lacht Johannes Hahn.

Der Mann weiß um seinen Ruf, ein einschläfernder Phlegmatiker zu sein. Er pflegt ihn, und es ist wohl Kalkül dabei. Wer als Langweiler gilt, kann sich verschanzen und im richtigen Moment reagieren. So wehrt Hahn Attacken mit der ihm eigenen Gelassenheit ab, die entschlossensten Angreifer bleiben in seinem immer gleichen Wiener Singsang hängen wie in zähem Schlamm. Erst als jeder Versuch, ihn aus der Reserve zu locken, ermattet ist, gibt er fröhlich sein Geheimnis preis: “Man unterschätzt mich, das ist seit Jahrzehnten mein größtes politisches Kapital.”

Hat er recht?

Die Schweizer Regierung war überrascht, welche Töne Hahn anschlagen kann. Im Dezember trat er, den man in Bern schon alleine in seiner Eigenschaft als Österreicher als natürlichen Freund betrachtete, zum Brüsseler Mittagsbriefing der Kommission an. Thema: das Rahmenabkommen der EU mit der Schweiz, mit dem die Beziehungen geregelt werden sollen. Hahn verkündete: “Die Tür ist geschlossen, nicht versperrt, aber geschlossen. Der Ball liegt in Bern!” Keine Nachverhandlungen mit Brüssel. Das Rahmenabkommen ist vereinbart. Darüber wird abgestimmt. Über nichts anderes. Eine klare Ansage, ausgerechnet von Johannes Hahn, dem unauffälligen, dem ruhigen, höflichen Wiener.

Hahn ist in seiner zweiten Amtszeit als EU-Kommissar, eine Seltenheit. Von 2009 bis 2014 war er Kommissar für Regionen. Seitdem ist er Erweiterungs- und Nachbarschaftskommissar.

Es ist eine bemerkenswerte Karriere für den Mann, der 1957 in einfache Verhältnisse hineingeboren wurde. Parteikarriere würden Kritiker hinzufügen, denn sie halten ihn für den typischen Apparatschik der ÖVP. Es ist tatsächlich viel Partei in seinem Leben: von der Jungen ÖVP im Wiener Bezirk Mariahilf bis zum Minister für Wissenschaft und Forschung. Der Weg war begleitet von dem, was dazugehört: Verdächtigungen, Anschuldigungen. Hahn wurde vorgeworfen, er habe seine Doktorarbeit zu weiten Teilen “plagiiert”. Erhärten ließ sich das nicht, doch offenbar war es für den ehemaligen Manager des Glücksspielkonzerns Novomatic ein schmerzhaftes Erlebnis. “Ich kann mit politischer Kritik gut umgehen, aber wenn es persönlich wird, wenn es zum Beispiel um meine Familie geht, dann wird es schwierig.” Während der Plagiatsaffäre habe ihn sein Sohn gefragt: “Papa, stimmt es, dass du abgeschrieben hast?” Das habe ihn getroffen.

Wer in die Politik geht, dessen Privatleben wird nicht verschont. Eine Erfahrung, so erzählt es Hahn, die er durch einen Zufall sehr früh gemacht hatte. Zwei Söhne eines bekannten sozialistischen Wiener Politikers gingen auf dasselbe, sehr bürgerliche Gymnasium wie Hahn. Die beiden wurde gepiesackt. Was sollten Sozialistenkinder in einer Hochburg des Bürgertums zu schaffen haben? Der sozialistische Vater kam schließlich in die Schule und rechtfertigte sich öffentlich dafür, dass seine Kinder ausgerechnet dieses Gymnasium besuchten. “Das hat mich sehr nachdenklich gemacht”, sagt Hahn, “Ich bin auch deswegen erst in die erste Reihe der Politik gegangen, als mein Sohn älter war.”

Das mag ein für Hahn typisches Understatement sein, heute jedenfalls gleicht sein Terminkalender dem eines Außenministers einer bedeutenden Macht. Gerade noch in Kiew Gespräche geführt, ist er schon in Kairo, morgen in Tbilissi und übermorgen in Tripolis. Hahn beackert in seiner Eigenschaft als Kommissar die gesamte Nachbarschaft der EU. Sie reicht von der Ukraine im Osten über Georgien bis nach Ägypten, Libyen und den Maghrebstaaten im Süden. Dazwischen liegt der Westbalkan, die sechs kleinen, unglücklichen Länder, die Hahn als Erweiterungskommissar an die EU heranführen soll.

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