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Demokratie: Ausweitung der Spielzone

Fünf Kinder stehen an einer
Wand und streichen sie hellblau. Das Jüngste ist anderthalb, das Älteste neun
Jahre alt. Farbe tropft auf Kleidung und Malerfolie, Fußtapser bedecken den
Boden, und ich überrede meinen inneren Kontrollfreak zur Zurückhaltung. Denn
die Kinder streichen – gemeinsam mit den Eltern – den Gruppenraum ihrer
Schule.

Demokratie: Esther Boldt arbeitet als Autorin, Tanz- und Theaterkritikerin für Medien wie "Theater heute", "tanz Zeitschrift" und den Hessischen Rundfunk und als Redakteurin bei "Nachtkritik". Sie ist Jurorin bei den Autorentagen am Deutschen Theater und Gastautorin von "10nach8".

Esther Boldt arbeitet als Autorin, Tanz- und Theaterkritikerin für Medien wie “Theater heute”, “tanz Zeitschrift” und den Hessischen Rundfunk und als Redakteurin bei “Nachtkritik”. Sie ist Jurorin bei den Autorentagen am Deutschen Theater und Gastautorin von “10nach8”.

Ihre Schule ist eine freie
Alternativschule in Frankfurt am Main, zu deren Selbstverständnis es gehört, dass Kinder sehr vieles
mitgestalten. Sei es bei gemeinsamen Renovierungsaktionen oder regelmäßigen Gruppen-
und Hausversammlungen. Bei Gesprächen über die Regeln des Zusammenlebens oder dringenden
Anliegen von Kindern und Erwachsenen. Beim Lernen in der Holzwerkstatt, im
Kunstatelier, am Gruppentisch, Tablet oder im Garten. Anstelle fester
Unterrichtsstunden gibt es hier Lernangebote, die Kinder wahrnehmen können,
aber nicht müssen. Denn der Schule liegt eine einfache Idee zugrunde: dass Kinder
auch dann lernen, wenn ihr Umfeld nicht durch Druck, Noten oder Wettbewerb
geprägt ist. Dass es durch das Möglichmachen unterschiedlichster Erfahrungen besser
gelingt. Und dass Eigenverantwortung, wechselseitiges Verständnis und
Kompromissfähigkeit dabei entscheidend sind.

Ich finde das Modell dieser
Mikrogesellschaft ziemlich spannend und wiege mich in der Hoffnung, dass
meinen Kindern dort die frustrierenden Lernerfahrungen erspart bleiben, die ich
selbst bereits in der ersten Klasse einer ganz normalen Regelschule sammeln dufte.
Damals waren Lernfortschritte nur im vorgesehenen Tempo erwünscht, es gab spürbaren Leistungsdruck und für vieles Strafen. Schon weil sich viele Schulen bis heute nicht entsprechend verändert haben,
wünsche ich mir, dass meine Kinder in ihrer Einrichtung – die man sich leider erst mal
leisten können muss – eigenverantwortlich lernen. Auch dass sie praktische
Erfahrung in Sachen Partizipation mitnehmen.

Denn warum sollten Kinder nicht
mehr Verantwortung für die eigenen Interessen und Bedürfnisse übernehmen? Bis
zu einem bestimmten Grad für das, was sie lernen, aber auch wie und wann sie es
lernen. Schließlich ist Wissen heute auf vielen verschiedenen Wegen verfügbar
und vermittelbar. Bislang jedoch stehen noch immer die fixen Lehrpläne und
Zeitrhythmen vieler Schulen im Vordergrund und nicht der diskontinuierliche, mal
intensive, mal sprunghafte Takt des kindlichen Lernens. Auch soziales Lernen
steht an vielen Schulen noch nicht gerade weit oben auf der Agenda. Aber warum eigentlich
werden nicht Beziehungen, Gruppendynamiken und Konflikte zum Anlass des Lernens,
der Gestaltung und Mitbestimmung genommen?

In skandinavischen Ländern sind demokratisch
ausgerichtete Schulen längst Teil der Alltagskultur. Das hat Wolfgang Edelstein, ehemaliger Direktor des Max Planck Instituts für Bildungsforschung, bereits
vor zwölf Jahren gesagt.
Deutschland dagegen sei an dieser
Stelle nicht besonders weit gewesen.

Noch heute vermisse ich hier Orte, an
denen Kinder mitreden können und gehört werden, eklatant. Zurzeit habe ich eher
den Eindruck, dass sie in in Kitas, Schulen und Hortbetreuung wegorganisiert und in ihrer
Freizeit auf Spiel- und Bolzplätze umgeleitet werden – und insgesamt gesellschaftlich
nicht viel zu sagen haben. Dabei haben die mehr als 11 Millionen Kinder im
Alter von null bis 14 Jahren, die in Deutschland leben, vor dem Gesetz durchaus
umfassende Rechte – theoretisch zumindest sichern das die UN-Kinderrechtskonventionen.

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