/Obdachlosigkeit: Bald könnte es 1,2 Millionen Menschen ohne Wohnung geben

Obdachlosigkeit: Bald könnte es 1,2 Millionen Menschen ohne Wohnung geben

Viele Menschen sind in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen und brauchen eine Wohnung. 2016 waren rund die Hälfte der 860.000 Wohnungslosen Geflüchtete. Dass Wohnungslosigkeit dennoch keinesfalls ein “importiertes Problem” ist, zeigt folgende Zahl: Bereits zwischen 2008 und 2014 – also vor der starken Zuwanderung von EU-Bürgern und Asylsuchenden – ist die Zahl der Wohnungslosen um etwa 50 Prozent angestiegen.

Ein anderer Vorwurf, der immer wieder zu hören ist: Geflüchtete würden sofort eine Unterkunft bekommen, aber einheimischen Obdachlosen werde kaum geholfen. Dem widerspricht Matthias Günther, Leiter des Pestel-Forschungsinstituts: “Schon in den Neunzigerjahren hieß es, dass Spätaussiedler bei der Wohnungssuche bevorzugt würden. Das stimmte damals so wenig wie heute, vor allem, wenn man die teils schlechten Unterbringungsbedingungen von Flüchtlingen sieht.” Der Ökonom weist darauf hin, dass inzwischen Millionen arme Menschen um günstigen Wohnraum konkurrieren. “Flüchtlinge machen da nur einen kleinen Teil aus. Das ist eine Verteilungsfrage, Zuwanderer und einheimische Arme gegeneinander auszuspielen schafft da nur Probleme und schürt falsche Ressentiments.” Dass mancherorts dennoch der Eindruck entstanden ist, Zugewanderte würden bevorzugt, sei neben rechter Stimmungsmache vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Versorgung von Geflüchteten viel öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt habe, glaubt Werena Rosenke. “Insgesamt sind arme Menschen generell unterversorgt.” 

In besonderem Maße gilt das wohl für Zuwanderer aus der EU. Seit Jahren wird teils heftig um ihre Versorgung gestritten, vor allem die CSU warnt immer wieder vor massenhafter “Zuwanderung in die Sozialsysteme”. Obwohl die meisten Osteuropäer aber hier eine Arbeit finden und die Bundesrepublik wirtschaftlich davon profitiert, verschärfte die damalige SPD-Bundessozialministerin Andrea Nahles Ende 2016 die Gesetzeslage. Nur wer als EU-Bürger ein Jahr in Deutschland gearbeitet oder fünf Jahre hier gelebt hat, erhält seither noch volle Sozialleistungen. Ansonsten gibt es für maximal einen Monat “Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise”. Doch Betroffenen werden nicht nur Sozialleistungen verweigert, sondern mancherorts auch die Nothilfe. Etwa in Hamburg oder Frankfurt wird ihnen der Zugang zu Notübernachtungen auch im Winter teils stark erschwert – trotz Ordnungs- und Menschenrechten. Also landen die EU-Zuwanderer, die hier bei der Arbeitssuche scheitern, immer öfter auf der Straße. Laut BAGW betrug ihr Anteil unter den Obdachlosen in Metropolen etwa 50 Prozent. Gerade in Städten wie Berlin oder Hamburg ist das unübersehbar. 

Weil die Kommunen einen Zuwanderungssog fürchten, wenn sie mehr Hilfe leisten, scheint kaum Besserung in Sicht. Immerhin: In Köln wurde im vergangenen Jahr eine Notunterkunft vor allem für gestrandete Migranten und Migrantinnen aus Osteuropa eröffnete, seither kommen pro Nacht 80 bis 90 Menschen aus dem EU-Ausland, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Demnächst wird auch eine Beratungsstelle eröffnet. “Eine Sogwirkung können wir bislang nicht feststellen”, heißt es aus der Domstadt.

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