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Thomas de Maizière: Als gutes Regieren noch reichte

Zwölf Jahre lang gehörte Thomas de Maizière zu den Nachrichten wie die Reichstagskuppel. Der Mund ein Strich, die Augen von einer mächtigen Brille beschützt, das ganze Gesicht die menschgewordene Pflichterfüllung. De Maizière konnte von “gefährdungsrelevanten Erkenntnissen und Sachverhalten” sprechen und dabei gleichzeitig mit seiner tiefen Stimme das Gefühl erzeugen, der Staat werde nüchtern bleiben wie de Maizière selbst. Auch so sahen sie aus, die Merkeljahre, bevor Horst Seehofer in die Regierung eintrat.

Als Angela Merkel noch die populärste Politikerin Deutschlands war, da hieß es manchmal, de Maizière könne ihr eines Tages als Kanzler nachfolgen. Vielleicht, weil er dieses postideologische Nichtsgroßeswollen ausstrahlte, das die Deutschen in Merkels besten Jahren so idealisierten.

Er funktionierte

Sicher hing es auch damit zusammen, dass er funktionierte, wo immer er arbeitete. De Maizière war Chef des Kanzleramts, Innenminister, dann Verteidigungsminister, dann wieder Innenminister. Es gibt wahrscheinlich niemanden außer Merkel selbst, der in ihrer Amtszeit so viele Krisen behandeln musste. Selten hörte man in dieser Zeit von Problemen in seinen Ministerien.

Doch de Maizière wurde kein Kanzler. Stattdessen gab er im vergangenen Jahr sein Ministeramt ab, als ein bedeutendes Ministerium für Horst Seehofer gebraucht wurde.

Nun ist er einfacher Abgeordneter, und er hat ein Buch geschrieben über seine Jahre in der deutschen Regierung, das, treffend, aber doch sehr nüchtern, Regieren heißt. Von de Maizière ist keine Enthüllungsgeschichte zu erwarten – aber interessant ist es doch, wenn einer aufschreibt, wie es in der Regierung so war in letzter Zeit. Welche Gedanken die Bundesminister umtrieben, als draußen mitten in den Aufschwungsjahren das Vertrauen im Land verloren ging. Er saß in der Regierung, als die Finanz- und die Eurokrise ausbrachen, als die Flüchtlinge kamen und später täglich und häufiger Asylbewerberunterkünfte brannten. Als sich islamistische Anschläge ereigneten. Da wäre etwas hinzuzufügen, vielleicht auch nachträglich zu erklären.

Wie man regiert

Aber das Buch will etwas ganz anderes, nämlich genau das, was im Titel steht. De Maizière erklärt, wie man regiert. Und das nicht mal schlecht. Fast ist es, als würde man The West Wing zu schauen, eine US-Serie lange vor House of Cards, in der lauter anständige, idealistische Leute im Weißen Haus arbeiten. De Maizière erklärt mit der Präzision von Serienstabschef Leo McGarry, wie Kabinettssitzungen und Koalitionsverhandlungen abzulaufen haben. Er erzählt, was A- und B-Runden sind. Er rät, anderen Ministern gegenüber immer offenzulassen, ob man gerade die Position der Kanzlerin oder seine eigene vorträgt. Und nach kurzer Zeit sitzt man selbst am Kabinettstisch und kontert ganz lässig den Antrag des aufdringlichen Justizstaatssekretärs mit einer saftigen Tagesordnungsänderung.

Das macht Spaß. Aber es hat auch einen Wert, der über den Reiz des plötzlich zugänglichen Verborgenen hinausgeht. Denn mit all diesen ins Kleinste aufgerollten Details holt de Maizière das Regieren aus dem Schatten der Verschwörungstheorien. Wer von ihm erfahren hat, in welch quälend rücksichtsvollen, aber eben demokratischen Verfahren so ein Koalitionsvertrag befüllt wird, der kann sich die Regierung beim besten Willen nicht mehr als Vorstand einer Deutschland GmbH vorstellen. Dies hier zum Beispiel geschah beim Verfassen des schwarz-roten Koalitionsvertrags 2018:

“Nachdem wir in diesem Beispiel etwas zum THW (Technisches Hilfswerk; Anm. d. A.) geschrieben hatten, fiel irgendeinem Verhandler in der Arbeitsgruppe auf, dass bisher nichts zur Feuerwehr im Entwurf des Koalitionsvertrages stand, obwohl der Bund hier nahezu keine Zuständigkeit hat. Auch das konnte natürlich wegen der Außenwirkung und wegen der Balance zum THW nicht sein. Und so schrieben wir etwas Freundliches zur Feuerwehr auf.”

Megathema Ministerien

De Maizière lenkt den Blick auf ein verborgenes Großthema: Das innere Funktionieren der Apparate, der Verwaltungen. Davon liest man bisher viel zu wenig, weil immer wieder Politikerpersönlichkeiten und die Wechselwirkungen mit ihren Parteien im Vordergrund stehen. Ministerien aber sind auch Akteure, die aus Tausenden politisch denkenden, meist langfristig beschäftigten Beamten bestehen. Wie sehr Verwaltungen ihre eigenen, ministerunabhängigen Dynamiken entwickeln können, kann man gut am Osten beobachten, wo in jedem Bundesland bis heute die politischen Kulturen der damaligen westdeutschen Partnerländer nachwirken.

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