/“Ich war zuhause, aber”: Was soll das Gerede von der Authentizität?

“Ich war zuhause, aber”: Was soll das Gerede von der Authentizität?

Natürlich sind Esel, Hund und, ja, auch ein totes Kaninchen
ebenso gut als Darsteller eines Kinofilms geeignet wie Kinder oder erwachsene
Schauspieler. So sieht es die deutsche Filmemacherin Angela Schanelec und tritt
auch gleich den Beweis an: Zu Beginn ihres wunderbaren Films Ich bin zuhause, aber, den sie jetzt im
Wettbewerb der Berlinale präsentierte, kommt ein Hund den Berghang hinab
gehetzt. Er jagt ein Kaninchen. Schanelec schneidet zwischen ihm und seiner
potenziellen Beute hin und her, wobei sie die Kamera aus der Totalen immer
näher an die beiden heranrücken lässt. Irgendwann bleibt das Kaninchen hocken,
und nach dem nächsten Schnitt sehen wir, wie der Rüde die Kreatur frisst und
einschläft. Ein Esel leistet ihm bei all dem ohne große Anteilnahme
Gesellschaft. Doch irgendwann wendet er seinen großen grauen Kopf dem Zuschauer
zu. So gekonnt, dass man fast vermuten möchte, er habe das sehr lange geübt,
bevor er es so beherrschte.

Das ist natürlich Quatsch. Ein Esel kann mit seinem Körper
nichts anderes darstellen als diesen Esel mit diesem Körper. Er hat nur diese
eine Wahrheit. Schauspieler sind dagegen Lügner, die ihren Körper für ihre
Lügen nutzen. Das wird Schanelec ziemlich genau in der Mitte ihres Films ihre
Hauptfigur Astrid sagen lassen. Ein zentraler Satz also.

Die stillschweigende Abmachung

Darum geht es in Ich war zuhause, aber: wie man
etwas inszeniert; was das Gerede von Authentizität solle. Film ist – wie
Theater – selbstverständlich eine Inszenierung. Dumm nur, wer das vergessen
möchte. Stichwort: Immersion. Allerdings dienen Kostüme, Maske, Proben gerade
im Kino häufig genug dazu, der Zuschauerin noch besser vorzugaukeln, sie sehe so
etwas wie Realität. Sie vergisst dann völlig die stillschweigende Abmachung, die
an diesem Ort doch schon immer galt: Die Darsteller tun so, als ob, und wir
Zuschauer dürfen uns, indem wir bei dieser Annahme mitspielen, im Gegenzug
unterhalten lassen.

Schanelec führt uns das ziemlich drastisch vor Augen, indem sie
sich jeder “realistischen” Inszenierung verweigert. Ihr Film ist
höchst artifiziell. Natürlich ist er das. Ein hübsches Paradox.

Ein Jugendlicher taucht nach ein paar Tagen wieder zu Hause
bei seiner Mutter und seiner kleinen Schwester auf. Offensichtlich war er in
die Wildnis verschwunden: Die Jacke, die Schuhe und seine Hände sind
dreckverkrustet. Warum er abgehauen ist, erfahren wir nicht. Lange statische
Einstellungen einer ruhigen Kamera lassen uns aber Zeit, die Beziehungen, die
sich nach und nach enthüllen, zu reflektieren. Vor zwei Jahren ist der Vater
gestorben. Die Mutter, Astrid (Maren Eggert), lebt seither mit den beiden
Kindern alleine. Offenbar noch immer stark mitgenommen vom Tod des Partners
(auch wenn es inzwischen einen blonden Tennislehrer in ihrem Leben gibt). Ihre
Erleichterung über die Rückkehr des Sohnes kann sie kaum artikulieren. Wenn die
Tochter aber unerlaubterweise zu Hause allein Pfannkuchen bäckt, rastet die
Mutter aus. Wir ahnen: aus tief sitzender Verlustangst.

Es ist ein an Narration armer Film. Astrid kauft ein
gebrauchtes Fahrrad und wir treffen neben der Familie auf Lehrer und Mitschüler
des Jungen und auf Arbeitskollegen des Vaters. In diesen Begegnungen wird nicht
viel gesprochen. Und wenn, gibt es bei der Kommunikation auf jeder Ebene
gehörige Widerstände. Entweder der Sprecher ist schwer zu verstehen, weil er
sich aufgrund einer Kehlkopferkrankung nur mithilfe eines elektronischen
Sprechgeräts äußern kann wie der Verkäufer des gebrauchten Rads. Oder der
Sprecherin ist der Empfänger nicht ganz klar, wie in jener wunderbaren Szene,
in denen Astrid die Lehrer ihres Sohnes aufsucht, um darum zu bitten, dass sie
nicht falsch über ihn urteilen mögen. Da wendet sie sich nicht an den
“Lehrkörper”, sondern an den “Heizkörper”.

Ob auch die
Kinder solche Verständigungshürden zu überwinden haben, wird nicht gezeigt. Wir
hören sie ausschließlich in gebundenen Versen sprechen, als probten sie für
eine Theateraufführung. Sie tragen den Hamlet
vor. Jenes Drama, mit dem Shakespeare den Übergang zum modernen Theater
geschaffen hatte und in dessen zentraler Szene die Inszenierung eines
Schauspiels steht: als Spiegel der Wirklichkeit.

So auch bei Schanelec. Der einzig längere Dialog findet
statt, als Astrid auf einen Kollegen ihres Mannes trifft, offenbar war der
Verstorbene Theaterregisseur. Die beiden diskutieren den Umgang mit
Schauspielern. Kranke als Darsteller einzusetzen, wie es der junge Kollege wohl
gemacht hat, hält Astrid für ein gescheitertes Experiment. “Auf der Bühne
zu tun, als wäre das das Leben, ist eine Lüge”, sagt sie. Der Kranke könne
nicht anders als krank sein. Sein Körper habe nur diese Wahrheit.

Und dies ist dann wiederum ein sehr persönlicher Hinweis,
wenn man sich kurz darauf besinnt, dass die Filmemacherin vor zehn Jahren ihren
Partner, den Theaterregisseur Jürgen Gosch, an den Krebs verloren hat. Die
beiden arbeiteten gemeinsam an Shakespeares Texten, Schanelec hat zwei Kinder
mit ihm. “Das Leben kann man nicht erklären”, sagt Astrid. Aber über
die Kunst der Inszenierung kann man streiten. Soll man sogar. Ich bin zuhause, aber ist ein gelungener
Beitrag dazu. Ein Kunstwerk in diesem an Kunst so armen Berlinale-Wettbewerb
und ein großes Glück.

“Ich war zuhause, aber” wird voraussichtlich ab 12. September 2019 in den deutschen Kinos anlaufen.

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