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Tabakkonsum: Die letzte Zigarette

Bald wird sich der Rauch verzogen
haben. Und wenn der graue Schleier über den Theken, Tanzflächen und Terrassen
vollends verschwunden ist, werden auch die letzten Aschenbecher ausgeleert, die
letzten Automaten abmontiert sein. Sicher, hier und da wird man sie noch kaufen
können. Aber eher für den besonderen Anlass: als edgy accessory für den
Abenteuerurlaub, als nostalgisches Gimmick für Mottopartys oder als “kultiger”
Geburtstagsgag. Denn sie werden teuer sein. Sehr teuer. Die sechs Euro, die man
im Jahr 2018 pro Schachtel hinlegte, werden wie geschenkt erscheinen. Selbst
die umgerechnet 17 Euro, die man seinerzeit bereits in Australien zahlen
musste, wirken dann womöglich wie ein Schnäppchen. Nur macht das den meisten
nichts. Da Rauchen nun als bizarrer Anachronismus des 20. Jahrhunderts gilt,
liegt der Bevölkerungsanteil von Nikotin-Junkies nur noch bei einer Handvoll
Prozent.

Wann es genau so weit ist, lässt
sich schwer sagen. Womöglich bereits in zehn, vielleicht auch erst in 30
Jahren. Sicher scheint nur: So oder so ähnlich wird es kommen. Zumindest in
der westlichen Hemisphäre. Denn hier läuft die Zeit der Zigarette bereits ab.
Das zeigen die Zahlen. Ist der weltweite Anteil der Raucher zwischen 1990 und
2015 um fast ein Drittel auf rund 15 Prozent zurückgegangen, liegt er in
Schweden sogar nur noch bei sieben Prozent. Mit einem Anteil von 28 Prozent
wirkt Deutschland im Vergleich zwar noch wie ein teutonisches Raucherrefugium,
doch auch hier schrumpft die Zahl an Tabakkonsumenten seit Jahren. Am
deutlichsten zeigt sich der Rückgang bei Jugendlichen. Griffen zwischen 2003
und 2006 hierzulande noch 21 Prozent aller Elf- bis 17-Jährigen zur Kippe,
waren es zwischen 2014 und 2017 nur noch sieben Prozent.


Dieser Artikel stammt aus dem “Philosophie Magazin” Nr. 02/2019.
© Philosophie Magazin

Zudem ist davon auszugehen, dass
die europäische Entzugstherapie demnächst noch heftiger wird. Dank des
gesundheitsorientierten Mentalitätswandels und schlagkräftigen
Antiraucherkampagnen dürfte die Zahl der Nikotinaussteiger exponentiell
ansteigen. So hörten in Frankreich, bekanntlich nicht nur das Heimatland der
Gitanes, sondern auch von existenzialistischen Starkrauchern wie Jean-Paul Sartre und Albert Camus, allein zwischen 2016 und 2017 rund eine Million
Menschen mit dem Qualmen auf. Kurzum: Mittelfristig werden sich die Dunstschwaden
in Luft
auf lösen.

Das muss man zunächst gar nicht
betrauern. Im Gegenteil: Ohne den Tabakkonsum, an dessen Folgen weltweit 6,4
Millionen Menschen pro Jahr sterben, werden wir länger und, zumindest
medizinisch gesehen, besser leben. Weit weniger Menschen müssen mitansehen,
wie ihre Geliebten qualvoll an Lungenkrebs sterben oder jahrelang an COPD
dahinsiechen. Zumal es, nüchtern besehen, ja an sich schon absurd anmutet,
sich freiwillig ein brennendes Papierstäbchen in den Mund zu stecken, das 4800
Chemikalien freisetzt, von denen 250 giftig und mindestens 90 krebserregend
sind. Ganz abgesehen von den Umweltfolgen. Denn die weltweit pro Jahr fast
sechs Billionen weggeworfenen Kippen ergeben statistisch nicht nur einen 750.000 Tonnen schweren Aschenbecher, sondern bilden auch eine Art globales Mosaik
aus toxischem Sondermüll, der Grund- und Meerwasser nachhaltig verseucht. Dass
die Zigarette aussterben wird, ist also biopolitisch und ökologisch
vernünftig.

Gesellschaftliches Durchlüften

Durch das gesellschaftliche
Durchlüften wird dennoch etwas verloren gehen. Etwas, das im Laufe der über
400-jährigen Geschichte westlicher Tabakkultur unser Denken prägte und es
bisweilen geradezu atmosphärisch auflud. Etwas, dessen Verlust man auch ganz ohne
Verklärung betrauen kann und für das es im Alltag womöglich auch so schnell
keinen Ersatz geben wird. Und nein, damit ist nicht die in diesem Zusammenhang
so gern hochgehaltene “Freiheit” gemeint. Denn abgesehen davon, dass der
massenindustrielle Siegeszug der Zigarette sich in einem erheblichen Maß den
perfiden wie milliardenschweren Werbekampagnen einer schamlosen Tabaklobby
verdankt, der in Filmen wie Thank you for Smoking (Regie: Jason Reitman,
2006) völlig zu Recht ein Mahnmal gesetzt wurde: Die freiheitsliebende
Marlboro-Mann-Mentalität von Rauchern ist schon deshalb eine gefährliche
Halbwahrheit, weil der Zug an der Zigarette neurologisch zuvorderst eben kein
liberaler Signature-Move, sondern eine toxikologische Zwangshandlung ist. Denn
Rauchen ist zweifellos Genuss, aber in der Regel eben auch: Sucht.

Das Betrauernswerte am
Verschwinden der Zigarette liegt also in etwas anderem. Es ergibt sich daraus,
dass das Rauchen en passant stets eine dreifach philosophische Übung war: eine
Übung in Egalität und Solidarität. Eine Übung in Zeit- und Weltwahrnehmung.
Eine Übung in Ambiguitätstoleranz. Der egalitäre Effekt des Rauchens deutete
sich dabei schon in der Frühphase der westlichen Tabakkultur an. Als Anfang
des 16. Jahrhunderts die ersten Pflanzen im Gepäck von spanischen
Konquistadoren Europa erreichten und sich das Rauchen im Laufe des 17.
Jahrhunderts in der Alten Welt langsam zur Mode entwickelte, für die man zu
Beginn noch gar kein eigenes Wort hatte, weshalb man vom “Saufen des Nebels”
sprach, offenbarte sich diese keineswegs als exklusive Beschäftigung der
Oberschicht. In den 1630er-Jahren, als der Tabakkonsum zum Motiv der Malerei
avancierte, sieht man auf den Bildern Menschen aller Schichten ihre Pfeife
paffen. Es finden sich schmauchende Adlige wie Landsknechte, Bürger wie
Bauern. Dementsprechend stellte Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in
seinem 1667 erschienenen Satyrischen Pilgram fest, dass sich “hoch: und
niederes Standespersonen des Tabacks gebrauchn”, und zwar “ahm allermeisten die
Soldaten / Zigeiner / Landfahrer und Bettler; nach denselben aber auch Bürger
/ Handwercksleute / Bauren und Taglöhner”. Im 17. Jahrhundert war das Rauchen
also eine der wenigen sozialen Praktiken, die klassenübergreifend ausgeübt
wurden.

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