/Bezirksämter: “Viele Kollegen gehen mit einem schlechten Gefühl zur Arbeit”

Bezirksämter: “Viele Kollegen gehen mit einem schlechten Gefühl zur Arbeit”

Wenn die Personalräte der sieben Hamburger Bezirksämter zu einer gemeinsamen Personalversammlung einladen, dann muss es dringlich sein. Etwa 2500 von 6500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kamen schließlich am Montag in die Sporthalle Alsterdorf. Zweieinhalb Stunden wurde nicht öffentlich diskutiert, auch mit dem zuständigen Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). In den anschließenden Erläuterungen der Personalräte und Gewerkschaftsvertrerinnen und -vertreter tauchten dann die Wörter “Überlastung” und “Hilferuf”  ein ums andere Mal auf. Geringere Belastung, mehr Geld, aber vor allem mehr Anerkennung wünschen sich die Bezirksamtsmitarbeiter. Wir haben zwei von ihnen gefragt, was sie konkret an ihrer Arbeit stört.

Matthias
Stein (43) arbeitet im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Bezirksamts
Eimsbüttel und insgesamt seit über zehn Jahren im Jugendamt.

Matthias Stein

Matthias Stein, 43, arbeitet im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Bezirksamts Eimsbüttel
© Folko Damm

“Unsere Arbeit
steht in einem ständigen Widerspruch: Wir müssen den eigenen Anspruch, Menschen
helfen zu wollen, ausbalancieren mit der Frage, ob wir auch tatsächlich
Lösungen anbieten können. Ich kenne das Jugendamt
quasi nur in Überlastungssituationen. Leider gibt es einen großen Unterschied
zwischen Statistik und Arbeitsrealität. Die Zahlen sehen nach außen gut aus,
aber eigentlich schaffen wir die Arbeit nur, weil Mitarbeiter über ihre
Leistungsgrenzen hinausgehen.

Unsere Arbeit beim
Allgemeinen Sozialen Dienst kann man schlecht planen, jeden Tag passiert Unvorhergesehenes. Dafür brauchen wir eigentlich Reserven. Aber das Gegenteil
ist der Fall. Wir müssen ständig damit rechnen, dass Kollegen am nächsten Tag
nicht mehr da sind, weil sie krankheitsbedingt ausfallen. Nicht selten durch
vorherige Überlastung  So wird auch jedes neue
oder veränderte Gesetz zum Problem, denn dadurch verändert sich unsere tägliche
Arbeit. Seit es das Teilhabegesetz und das Unterhaltsvorschussgesetz gibt, stellen
mehr Menschen als vorher Anträge, die wir bearbeiten müssen. Außerdem mussten
wir uns in diese Themen juristisch einarbeiten.”

Sarah
Falkenthal (25) arbeitet seit drei Jahren in der Abteilung Grundsicherung des
Bezirksamts Eimsbüttel:

Sarah Falkenthal

Sarah Falkenthal, 25, arbeitet seit drei Jahren in der Abteilung Grundsicherung des Bezirksamts Eimsbüttel:
© Folko Damm

“Ich bin für die Bearbeitung
von Anträgen der Grundsicherung zuständig. Ich mache meine Arbeit an sich sehr
gern – aber nicht mehr unter den aktuellen Bedingungen. Wir sind einfach zu
wenige Kollegen. Grundsätzlich gilt in der Grundsicherung, dass ein Mitarbeiter
oder eine Mitarbeiterin etwa 170 Fälle verantwortungsvoll bearbeiten kann.
Aktuell liegen wir im Schnitt aber bei 230 bis 250.

Viele
Kollegen gehen mit einem schlechten Gefühl zur Arbeit, viele haben Angst,
Fehler zu machen. Wir müssen zu viel arbeiten und unsere Stellen sind nicht besonders gut bezahlt, deshalb gibt
es viele Wechsel. Das ist ein großes Problem, denn die Einarbeitung dauert
sechs Monate, viel länger bleibt kaum einer. Wir müssen deshalb permanent
Lücken stopfen und können dann oft nur noch die dringendsten Notfälle
bearbeiten.

Dabei
ist die Arbeit in der Grundsicherung sehr sensibel. Zu uns kommen Menschen, die
auf uns angewiesen sind. Letztlich machen wir auch ein Stück weit Sozialarbeit.
Wenn zum Beispiel ein verwahrloster Mensch zu uns kommt, können wir davor nicht
die Augen verschließen, sondern müssen darauf hinweisen, dass er vielleicht
eine Haushaltshilfe braucht.

Der
größte Druck herrscht während der Sprechzeiten. Ich erinnere mich an einen Tag,
da waren wir fünf Kollegen statt zwölf. Ein Kunde nach dem anderen kam rein,
und danach mussten wir aufarbeiten, was liegengeblieben war. So etwas geht dann
nur noch mit Überstunden.”

Dies ist ein Artikel aus dem Hamburg-Ressort der ZEIT. Hier finden Sie weitere News aus und über Hamburg.

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