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“Islamischer Staat”: Niemand weiß, wohin mit ihnen

Die letzten drei Neuzugänge aus Deutschland sind zugleich die bisher prominentesten: Seit gut einer Woche befinden sich Martin Lemke aus Sachsen-Anhalt und zwei seiner Ehefrauen im Gewahrsam der Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden des Bürgerkriegslandes. Lemke, 28, aus Zeitz, hatte in einem früheren Leben Schweißer gelernt, bevor er Ende 2014 beschloss, sich der Terrorgruppe “Islamischer Staat” (IS) anzuschließen. Im Namen des IS diente er offenbar im Gestapo-ähnlichen Sicherheitsdienst der Truppe, er wird verdächtigt, auch gefoltert und womöglich gemordet zu haben.

Das sogenannte Kalifat, der selbst ernannte Staat des IS auf syrischem und irakischem Boden, in dem Lemke seine Terrorkarriere durchlief, existiert nicht mehr. Von Lemke wird angenommen, dass er sich in einem der letzten versprengten IS-Rückzugsorte aufhielt. Bis Ende Januar, als er Kämpfern der Kurdenmiliz YPG, die in den SDF den Ton angibt, in die Hände fiel. Ebenso wie zwei seiner Ehefrauen.

Für die YPG ist es nahezu Alltag, dass Ex-IS-Kämpfer bei ihnen im halbautonomen Kurdengebiet Syriens auftauchen. Mal stellen sie sich, mal werden sie bei Fluchtversuchen gefasst, so geht das seit Monaten. Die SDF sind Verbündete der USA, sie haben geholfen, die IS-Hochburg Rakka einzunehmen. Damit, dass sie sich nun um ihre geschlagenen Gegner kümmern müssen, hatten sie nicht gerechnet.

Genaue Zahlen gibt es nicht, aber schätzungsweise hält die YPG rund 1.100 IS-Kämpfer fest, dazu kommen etwa 2.000 Frauen und Kinder. Nach ZEIT-Informationen sind circa 120 Deutsche oder aus Deutschland zum IS Ausgereiste darunter.

SDF sind kein staatlicher Akteur

“Wir haben keine Gerichte, um sie zu verurteilen”, sagte schon im vergangenen Jahr ein hoher Führer der syrischen Kurden gegenüber ZEIT ONLINE. “Die müssen weg.” Zwar haben die USA seither geholfen, die Lager mit Fertigbauteilen zu erweitern. Aber das Problem ist noch lange nicht gelöst. Es geht jetzt auch nicht mehr nur darum, dass die syrischen Kurden keine Lust haben, Geld für die Gefangenen auszugeben – sie fühlen sich durch den angekündigten US-Abzug aus Syrien verletzbar und sorgen sich davor, dass die türkische Armee, die in der YPG ihrerseits eine Terrorgruppe sieht, einmarschieren könnte.

Falls es so weit komme, so ließen YPG-Funktionäre kürzlich verlauten, könnte es sein, dass man die Gefangenen laufen lassen müsse. Das wäre ohne Zweifel ein Horrorszenario. Einige der Inhaftierten sind sicher desillusioniert vom IS; aber gewiss sind auch extrem Radikalisierte und Gewaltbereite unter ihnen, die nur darauf warten, ihr Werk fortzusetzen. Allerdings sollte man die YPG-Aussagen wahrscheinlich eher als Mahnung verstehen, weniger als Ankündigung: Etwas muss geschehen.

Nur was?

Die USA setzen ihre europäischen Partner seit Langem schon unter Druck, die Dschihadisten zurückzuholen, damit sie in ihren Ursprungsländern verurteilt werden. Erst jüngst unternahm Washington bei der Bundesregierung nach Informationen von ZEIT ONLINE einen neuerlichen Vorstoß in diese Richtung. Die Rücknahme und Verurteilung ist in der Theorie auch eine sinnvolle Lösung – in der Praxis aber kompliziert: Weder die YPG noch die SDF sind staatliche Akteure, die Bundesregierung kann mit ihnen keine Auslieferung vereinbaren.

Dazu kommt ein weiteres Hindernis. Denn längst nicht gegen alle Inhaftierten liegen genug Beweise oder auch nur Belege für Straftaten vor. Viele könnte man in Deutschland möglicherweise gar nicht belangen, müsste sie stattdessen aber kostspielig observieren oder anderswie sicherstellen, dass sie keine Anschläge begehen oder ihre Kinder radikalisieren.

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