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Was wird aus Hartz IV?

Keine andere Partei hat so sehr unter den Hartz-Reformen gelitten wie die SPD; dabei hat sie sie selbst eingeführt. Parteichefin Andrea Nahles will die bisherigen Hartz-IV-Leistungen jetzt zu einem neuen Bürgergeld umbauen. “Wir wollen, dass der Sozialstaat
wieder als Partner der Menschen auftritt – nicht als Kontrolleur oder
Bevormunder”, sagte sie im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

An diesem Sonntag trifft sich der SPD-Vorstand zu einer Klausur, um an einem neuen Sozialstaatskonzept zu feilen. Eine vollständige Abschaffung des den Hartz-IV-Reformen zugrunde liegenden Prinzips des Forderns und Förderns lehnt die SPD ab. Ein bedingungsloses Grundeinkommen halten viele Sozialdemokraten deshalb für zu kurz gedacht: Arbeit bedeute für die meisten Menschen eben nicht nur finanzielle Absicherung, sondern auch Gebrauchtwerden und Dazugehören. Außerdem würde die Grundsicherung wohl nicht viel höher ausfallen als die bisherigen Regelsätze, sonst wäre sie überhaupt nicht finanzierbar. Daher, so die sozialdemokratische Argumentation, müsse es auch künftig eine Verwaltung geben, die Arbeitslosen Anreize biete, eine Arbeit aufzunehmen. “Der Staat darf niemanden mehr aufgeben, in keiner Lebensphase,
unabhängig von seiner Vorgeschichte – jeder kann etwas schaffen, jeder
kann etwas beitragen. Der Staat soll ihm dabei helfen”, so erklärte Juso-Chef Kevin Kühnert das Konzept. Die SPD stehe für ein “Recht auf Arbeit”.

Das neue Bürgergeld wird nach den SPD-Plänen ebenso hoch ausfallen wie der bisherige Hartz-IV-Satz, also derzeit 424 Euro für Alleinstehende plus Wohngeld und bei Bedarf andere Sozialleistungen. 

Allerdings will die SPD Sanktionen für unter 25-jährige Arbeitslose abschaffen. “Sanktionen dürfen nie zu 100-Prozent-Streichungen von
finanziellen Mitteln führen, die Kosten für Wohnraum etwa sollte der Staat
garantieren. Sanktionen, die Obdachlosigkeit zur Folge haben, werden wir
abschaffen”, sagte Nahles. Dennoch müsse es bei Arbeitslosen, die sich nicht an Termine oder Ähnliches hielten, möglich bleiben, “die Zügel anzuziehen”. “Wenn jemand das zehnte Mal in Folge nicht zum Termin beim Amt erscheint, dann sollte das Konsequenzen haben”, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil schon im November dem Spiegel.

Die SPD will das Arbeitslosengeld I für Menschen, die lange gearbeitet haben, auch länger auszahlen. Unabhängig vom Alter soll sich die bisherige Anspruchszeit von 12 Monaten erhöhen und zwar bei mindestens 20
Jahren Beitragszeit um drei Monate, ab 25 Jahren um sechs Monate
und ab 30 Jahren um neun Monate. Arbeitslose über 50 Jahren sollen künftig fast drei Jahre lang das Arbeitslosengeld I, also 60 Prozent ihres früheren Monatsnettoeinkommens bekommen, bevor sie in den oft deutlich niedrigeren Hartz-IV-Satz rutschen. Außerdem soll es nach der ALGI-Zeit noch eine zweijährige Übergangsphase geben, in der Arbeitslose nicht fürchten müssen, dass ihr Eigentum auf den Regelsatz angerechnet wird oder das Jobcenter befindet, sie lebten in einer zu teuren Wohnung.

Die SPD will außerdem Anreize für Arbeitslose schaffen, die sich weiterbilden. Wenn jemand eine Weiterbildung macht, soll er für die Zeit der Qualifizierung eine
Verlängerung seines Arbeitslosengeldes I erhalten – das ist der Vorschlag des Arbeitslosengeld Q des früheren
Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz.

Die Spitze der Sozialdemokraten kämpft seit Neuestem außerdem für eine Kindergrundsicherung. Alle aktuellen Leistungen wie etwa Kindergeld, Kinderzuschlag, Bildungs- und Teilhabepaket oder Hartz IV
sollen künftig zu einem Paket mit einer festen monatlichen
Zahlung zusammengefasst werden. Je höher das Einkommen, desto niedriger soll der Kinderzuschlag ausfallen.

Die SPD will also an vielen wichtigen Stellschrauben des Hartz-IV-Konzepts ihres früheren Kanzlers Gerhard Schröder drehen, nicht aber den großen Systemwechsel einleiten. Schon ihre aktuellen Ideen dürften schwer genug umzusetzen sein. Die Union hat Widerstand angekündigt.

Einen ganz anderen Vorschlag hatte vor einem Jahr Berlins Regierender SPD-Bürgermeister Michael Müller gemacht. Er sprach sich für ein “solidarisches Grundeinkommen” aus. Auch diese Idee ist allerdings nicht so radikal, wie sie sich zunächst anhört. Denn der Vorstoß richtete sich nur an Langzeitarbeitslose. Diesen sollte bei kommunalen oder landeseigenen Unternehmen eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung angeboten werden, für die sie aus Steuermitteln 1.200 Euro netto bekämen. Im Grunde ähnelt dieses Konzept anderen Programmen zur Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt.

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