/“Riot: Civil Unrest”: Scheitern am zivilen Ungehorsam

“Riot: Civil Unrest”: Scheitern am zivilen Ungehorsam

Im Morgengrauen rückt die Polizei mit Mannschaftswagen ins
italienische Susatal vor. Sie will den Zeltplatz räumen, der den Bau einer
Hochgeschwindigkeitsbahnlinie blockiert. Doch die Demonstrantinnen und
Demonstranten haben Vorkehrungen getroffen: Versteckte Vorposten warnen die
Besetzer mit einem Feuerwerk vor dem herannahenden Räumungskommando. Wenige Minuten
später treffen beide Seiten aufeinander, es fliegen Steine und
Tränengasgranaten. Die Besetzerinnen und Besetzer halten ihre Stellung, doch
ein Polizist stirbt durch einen Steinwurf.

Die Auseinandersetzung um die Hochgeschwindigkeitsstrecke im Susatal
gibt es wirklich, die beschriebene Situation stammt jedoch nicht aus der
italienischen Region, sondern aus einem Videospiel: Riot: Civil Unrest ist eine Art Ausschreitungssimulator. Das Spiel,
das nun für Konsolen und PC erschienen ist (17 Euro, USK 12), orientiert sich
an realen Konflikten. In der Rolle von Demonstranten oder Polizei können
Spielerinnen und Spieler in die vier Hauptkampagnen eintauchen, der sogenannte No-Tav-Konflikt um die Bebauung des Susatals ist einer von vieren. Die Gamer
können sich auch in die Auseinandersetzungen um die Keratea-Mülldeponie in
Griechenland hineinversetzen, in die Indignados-Proteste in Spanien, die sich gegen die
Sparpolitik und Arbeitslosigkeit richteten, und in
die Ereignisse des Arabischen Frühlings. Dabei
zeigt Riot beide Seiten der Konflikte
und versucht zusätzlich, Mediendynamik und öffentliche Meinung mit einzubauen –
leider nicht sehr erfolgreich.

Das Spiel ist das Projekt des Gamedesigners Leonoardo
Menchiari
: Die Idee zu Riot kam ihm, als er die No-Tav-Proteste
des Jahres 2012 direkt miterlebte. Menchiari setzt dafür auf eine Pixelgrafik
im Stil früher Computerspiele: Diese gewollte Abstraktion verleiht dem Spiel
zusätzliche Wucht, weil sich dadurch vieles im Kopf des Betrachters abspielt:
die Emotionen der Kontrahenten, die aufbrechende Gewalt und auch ihre Folgen.

Die komplexe Dynamik von Großprotesten

Grundsätzlich erinnert Riot
an Echtzeit-Strategiespiele wie Age of
Empires
oder Starcraft. Zu Beginn
jeder Kampagne wählen Spieler, ob sie lieber Demonstranten oder Polizistinnen
sein wollen. Die Kampagnen bestehen aus mehreren Episoden: Im Susatal-Konflikt
etwa geht es zunächst um die Verteidigung beziehungsweise Räumung eines
Zeltplatzes, später dann um die Verteidigung oder Stürmung von Baustellen und
Polizeilagern. Die Konfrontationen sind zeitlich begrenzt und dauern meist nur
wenige Minuten. Ziel ist, die eigene Anhängerschaft möglichst geschickt über
das Spielfeld zu manövrieren. Dabei steuern Spielerinnen nicht einzelne
Figuren, sondern vordefinierte Gruppen: Sie ordnen Ortswechsel,
Verteidigungspositionen oder den Einsatz von Waffen wie zum Beispiel
Molotow-Cocktails oder Gummigeschossen an. Die Gegenseite wird automatisch
gesteuert oder – im Multiplayer-Modus – von anderen Spielern.

Bei Riot endet der
Konflikt aber nicht einfach mit dem Punktsieg einer Partei. Stattdessen macht
das Spiel am Ende jeder Episode zwei unterschiedliche Rechnungen auf: eine
militärische und eine politische. In dem eingangs geschilderten Szenario haben
die Demonstranten zwar einen militärischen Sieg errungen, denn sie haben den
Zeltplatz verteidigt. Doch der Tod eines Polizisten macht daraus einen
Pyrrhus-Sieg: Die Medien verurteilen die Gewalt, die Demonstranten verlieren in
der Öffentlichkeit viele Sympathien, und in den nachfolgenden Episoden des
Spiels reagiert die Polizei sehr viel härter auf Provokationen und Gewalt.

Man muss Riot für den Mut
loben, sich eines derart kontroversen Themas anzunehmen. Nicht erst die G20-Proteste von Hamburg haben
gezeigt, wie komplex die Dynamik solcher Großproteste ist. Oft braucht es
Monate oder gar Jahre, um die Ereignisse und Eskalationen rekonstruieren zu können: Im Fall der G20-Proteste zeigte erst die minutiöse Auswertung
von Protokollen und Zeugenaussagen, wie sich der Konflikt genau zuspitzte.

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