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Industriepolitik: Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt

Peter Altmaier, der amtierende Bundeswirtschaftsminister, kommt schon in
Satz vier seiner Presseerklärung am vergangenen Dienstag auf Ludwig Erhard zu sprechen, dann
noch mal in Satz sieben. Wenn jemand so schnell einen seiner Vorgänger bemüht, obwohl der seit
mehr als vierzig Jahren tot ist, dann ist Sorge angebracht. Die Sorge, des Bruchs mit einer
Tradition bezichtigt zu werden. Durchaus zu Recht. Denn die “Nationale Industriestrategie
2030
“, die Altmaier vorgelegt hat, ist der Versuch, etwas zu beleben, das in Deutschland
zumindest im offiziellen Sprachgebrauch lange verpönt war: Industriepolitik. Altmaier will
eine Debatte – nicht darüber, ob das Land Industriepolitik wieder braucht, sondern wo und wie
es sie braucht.

Seine “Nationale Industriestrategie” ist das Ergebnis eines bemerkenswerten Sinneswandels im konservativen Lager der Republik. Denn während die Sozialdemokraten mit staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft von jeher wenig Probleme haben, stand man diesen in der Union bislang skeptisch gegenüber. Nun sagt ausgerechnet Altmaier, dass ein “Tätigwerden des Staates” gerechtfertigt oder gar notwendig sein kann, um “schwere Nachteile für die eigene Volkswirtschaft” zu vermeiden. Und er steht nicht allein. Im vergangenen August trafen sich hochrangige Unionspolitiker mit Unternehmern und Wirtschaftswissenschaftlern im Konrad-Adenauer-Haus, um in vertraulicher Runde darüber zu sprechen, wie sich das wirtschaftspolitische Profil der Christdemokraten schärfen ließe. Neben Kanzlerin Angela Merkel war die heutige Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer anwesend, der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung Carsten Linnemann und der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch. Man war sich schnell einig: Deutschland müsse industriepolitisch in die Offensive gehen.

Und zwar als Antwort auf die erfolgreiche Staatswirtschaft Chinas und ein Amerika, das zunehmend protektionistisch agiert, um im eigenen Land bestimmte Industrien zu fördern, zu schützen oder sie gar zurückzuholen. Die Ideen beinhalten so unterschiedliche Dinge wie Batteriefabriken, die mit Staatsgeld gefördert werden, bis zur Senkung von Unternehmenssteuern.

Nur dumm, dass Altmaier die öffentliche Debatte über diese Herausforderungen jetzt denkbar ungeschickt angefangen hat. Denn er erwähnt in seiner Strategie namentlich Großkonzerne, die er für nationale Champions hält und die als solche auch erhalten werden sollten. Zur Deutschen Bank etwa sagt er auf Nachfrage: “Ein Land wie Deutschland muss auch den Anspruch haben, auf Finanzmärkten und im Bankenwesen eine internationale Rolle zu spielen.” Das klingt nicht mehr nach einer impliziten Staatsgarantie, sondern nach einer expliziten. Weitere erwähnte Firmen sind Siemens, Thyssenkrupp, die Autokonzerne.

Selbst ein Ökonom wie Peter Bofinger aus dem Rat der Wirtschaftsweisen, der schon lange für eine Debatte über Industriepolitik wirbt, ist über diesen Teil der Altmaier-Vorschläge nicht begeistert: “Einzelne Unternehmen gezielt zu schützen, finde ich fraglich”, sagt er. “Die Sorge ist, dass man damit marode Firmen schützt.” Jens Südekum von der Universität Düsseldorf sagt: “Picking winners,
das ist die Art von Politik, die schnell schiefgeht.” Zwei Gefahren hat diese Vorgehensweise: Firmen könnten im Wissen um ihre Bedeutung viel zu riskant handeln und später Verluste sozialisieren – wie es vielen Banken in der Finanzkrise vorgeworfen wurde; oder sie werden träge, weil sie glauben, in der Not helfe der Staat ja. In beiden Fällen ist das Problem das gleiche: Risiko und Haftung fallen nicht zusammen, das macht die Sache so gefährlich.

Ein weiteres heikles Thema, das Altmaier anspricht, sind ausländische Investoren, die Unternehmen mit Sitz in Deutschland kaufen. Der Wirtschaftsminister will das künftig genau beobachten und Übernahmen notfalls sogar staatlich verhindern. Auch dieses Vorhaben ist eine Reaktion auf den Aufstieg Chinas. Altmaier fürchtet, dass mit Staatsgeld vollgesogene chinesische Unternehmen deutsche Firmen aufkaufen, während die chinesischen Behörden umgekehrt deutsche Unternehmen in China oft nicht zum Zuge kommen lassen. Ein Beispiel, das er als Auslöser der Überlegungen nennt, ist die Übernahme des Roboterherstellers Kuka im Jahr 2016 durch den chinesischen Midea-Konzern.

Auch das ist hochumstritten. Die meisten Großkonzerne in Deutschland haben längst große ausländische Investoren. Und das nicht nur aus Ländern, die bekannt sind für Marktwirtschaft und Demokratie. Unter diesen Firmen mit ausländischen Anteilseignern sind im Übrigen auch viele von denen, die Altmaier besonders schützen will (VW, Deutsche Bank, Thyssenkrupp). Sollen Politiker künftig darüber bestimmen, wem Unternehmen demnächst ihre Aktien verkaufen dürfen? Die meisten Ökonomen sind sich darin einig, dass der Staat sich hier besser zurückhält und maximal in eng begrenzten Fällen eingreifen sollte.

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