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Völkerbund: Wilsons Traum

In den ersten Augusttagen 1914 starb in Europa der Glaube an einen
ungebrochenen Fortschritt der internationalen Gemeinschaft. Dabei war die Welt bis zum
Ausbruch des Krieges immer enger zusammengewachsen. Die globalen Handels- und Verkehrsströme
hatten seit dem späten 19. Jahrhundert stetig zugenommen und neue Formen der Kooperation
zwischen den Nationen hervorgebracht, darunter zwischenstaatliche Organisationen wie den
Weltpostverein von 1874 oder die Telegraphen-Union von 1913. Auf den Haager Konferenzen von
1899 und 1907 war sogar der Versuch unternommen worden, Krieg und Frieden einem gemeinsamen
Regelwerk zu unterwerfen. Doch nun, mit Beginn des Ersten Weltkriegs, schien dieser
aufblühende Internationalismus schlagartig entwertet.

Es blieb einem Außenstehenden vorbehalten, angesichts der donnernden Kanonen einen neuen Anlauf zu einem Zusammenschluss der Staatenwelt zu wagen. Im Mai 1916, als die USA noch kein Kriegsteilnehmer waren, schlug der amerikanische Präsident Woodrow Wilson erstmals öffentlich die Gründung eines Völkerbundes vor. Auch wenn er damit zunächst nur ein unverbindliches Bekenntnis zur Gemeinschaft der friedfertigen und rechtstreuen Nationen verband, wurde der Vorstoß in Europa aufmerksam registriert. Doch während sich in Frankreich und Großbritannien bald Regierungskommissionen an die Arbeit machten, begann die Debatte über eine neue Organisation dieser Art in Berlin erst im Schatten der Niederlage im Herbst 1918.

Wilson wehrte jede Abstimmung der Alliierten untereinander ab, weil er auf einem allgemeinen Friedenskongress über die Gründung eines Völkerbundes beraten wollte. Gleichwohl machte er unter dem Eindruck der europäischen Pläne bereits im August 1918 einen eigenen Vorschlag für die amerikanische Position.

Auf Druck aus Washington wurde der Völkerbund an den Anfang der Beratungen auf der Pariser Friedenskonferenz gestellt. Als Wilson im Dezember 1918 in Europa ankam, erklärte er zudem, dass er alle Verhandlungen in dieser Sache persönlich leiten wolle. Das traf die europäischen Partner unvorbereitet. Man hatte damit gerechnet, erst im Anschluss an die territorialen, militärischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen über den Völkerbund zu beraten, eventuell sogar gemeinsam mit den Kriegsgegnern. Daher hatten die anderen Nationen zunächst nur honorige Fachleute mit dieser Frage betraut, aber kaum politische Schwergewichte.

Wilsons Eile hatte gute Gründe: Zum einen sah er im Völkerbund das beste Rezept, um alle Misslichkeiten des Friedensschlusses, die sich schon während der Verhandlungen abzeichneten, nachträglich zu korrigieren. Zum anderen hatte seine Demokratische Partei bei den amerikanischen Zwischenwahlen vom November 1918 ihre Mehrheit im Senat verloren, und seine Regierung war auf eine Zusammenarbeit mit den Republikanern angewiesen. Die sahen sein Projekt jedoch skeptisch. Der Präsident wollte den Völkerbund daher bereits im angestrebten Präliminarfrieden festschreiben und seine Ausgestaltung so der inneramerikanischen Debatte entziehen. Dass auf diese Weise auch die Kriegsverlierer mit einem fertigen Entwurf konfrontiert würden, erschien ihm gerechtfertigt. Schließlich mussten diese erst einmal ihre neu gewonnene Friedfertigkeit beweisen: Der Völkerbund sollte nach dem Willen Wilsons kein beliebiger Verein werden, sondern eine Wertegemeinschaft.


ZEIT-Geschichte 1/2019

Dieser Text stammt aus dem Magazin ZEIT Geschichte Nr. 1/2019. Das aktuelle Heft können Sie am Kiosk oder hier erwerben.

Am 3. Februar 1919
kam die Kommission für den Völkerbund unter dem Vorsitz
Wilsons erstmals zusammen, bezeichnenderweise nicht wie andere Konferenzgremien in einem
französischen Ministerium, sondern im Domizil der amerikanischen Delegation, dem Hôtel de
Crillon. Zu den 15 Mitgliedern zählten je zwei Angehörige der alliierten Hauptmächte
Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und den USA; dazu je ein Delegierter aus Belgien,
Brasilien, China, Portugal und Serbien. Die Plätze der kleineren Nationen waren hart umkämpft
gewesen und erst wenige Tage zuvor endgültig verteilt worden.

Die Verhandlungen gestalteten sich trotz aller diplomatischen Courtoisie mühsam. Die französischen Vertreter Léon Bourgeois und Ferdinand Larnaude fühlten sich von der Gangart der Amerikaner überfahren und reagierten widerspenstig, zumal ihr eigener Vorschlag aus der Kriegszeit nahezu kommentarlos vom Tisch gewischt worden war. Dass stattdessen Wilsons eigener Entwurf als Ausgangspunkt diente, die Verhandlungen auf Englisch geführt wurden und die Briten den Schulterschluss mit den US-Vertretern suchten, verbesserte die Situation nicht gerade.

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