/Skisport: Keiner bleibt ohne Kreuzbandriss

Skisport: Keiner bleibt ohne Kreuzbandriss

In Åre in Schweden hat es in diesen Tagen in guten Augenblicken minus zehn Grad, in den nicht so schönen sind es dann minus 25 Grad oder weniger. Der Schnee bleibt da liegen, klar, für die Ski-WM ist das eine gute Nachricht. Die Skiprofis stören sich aber weniger an Eis und Kälte.

Eine Debatte um schwere Stürze, Verletzungen und Rücktritte hat die Szene erfasst. Der Norweger Aksel Lund Svindal, einer der erfolgreichsten Abfahrer der Gegenwart, wird seine Karriere nach Åre beenden: das rechte Knie. Vor drei Jahren riss er sich in Kitzbühel das Kreuzband und den Meniskus. Er schleppte sich durch, doch nun geht es nicht mehr. Und Lindsey Vonn, die erfolgreiche US-Amerikanerin, schrieb vor der WM: “Mein Körper ist gebrochen.” Sie stürzte am Dienstag im Super-G erneut und will noch die Abfahrt am Sonntag fahren, danach ist Schluss. Auch bei ihr könnte man am ganzen Körper OP-Narben ertasten, die Kreuzbänder in beiden Knien waren schon durch, der Schienbeinkopf, der Oberarm und so weiter.

Die Liste ist lang

Die Sicherheitsdebatte im alpinen Skirennsport ist so alt wie dieser Sport selbst. Doch in dieser Saison kocht sie wieder hoch. Beim Weltcup der Frauen auf der anspruchsvollen Kandahar-Piste in Garmisch-Partenkirchen Ende Januar stürzten die Kombinationsolympiasiegerin Michelle Gisin (Schweiz) und die Österreicherin Cornelia Hütter. Gisin holte sich einen Knorpelschaden im Knie, Hütter riss das Innenband im Knie und ein Muskel in der Wade. Die Veranstalter mussten danach den Sprung am Tröglhang abtragen, weil er zu einer Schanze wurde und damit zu gefährlich war.

Vor 25 Jahren verstarb die zweifache Super-G-Weltmeisterin Ulrike Maier aus Österreich, nachdem sie bei einem Sturz auf der Kandahar mit dem Kopf gegen eine Zeitmessanlage geprallt war. Silvano Beltrametti ist seit 2001 querschnittsgelähmt und Matthias Lanzinger fehlt seit 2008 der linke Unterschenkel. Bei Svindal fürchteten die Ärzte 2007 ums Leben, als er im Training stürzte und nur durch Spenderblut überlebte. Und im November 2017 starb der Franzose David Poisson bei einem Trainingssturz. Der Skisport war schon immer auch ein Tanz mit dem Risiko.

Zwar ist seit dem Tod von Maier einiges passiert: Bis zu vier Hochsicherheitsnetze hintereinander wurden angebracht, Sturzräume vergrößert und die Zeitmessanlagen hinter die Zäune verlegt. Das half zwar. Doch es sorgte auch dafür, dass die Sportler noch mehr Risiko eingingen, im Glauben, es könnte bei einem Sturz weniger passieren. Den 2014 eingeführten Rückenairbag tragen bis heute nicht alle Athleten, da sie einige aerodynamische Nachteile und eine etwas verringerte Beweglichkeit nicht akzeptieren wollen.

“Das ist einfach zu viel”

Deutschlands bester Abfahrer, Thomas Dreßen, sagt: “Die Abfahrt wird immer eine Risikosportart bleiben, dein Körper ist deine Karosserie, ohne Puffer drum herum. Jeder kennt das Risiko und hat realisiert, dass etwas passieren kann. Niemand wird dazu gezwungen.” Ende November krachte er mit 120 Kilometern pro Stunde während der Abfahrt in Beaver Creek in die Fangnetze, riss sich das Kreuzband und kugelte sich zudem die Schulter aus. Er hatte den Ski verkantet. Seine Saison war zu Ende. 

Der Renndirektor für den Männerbereich des Ski-Weltverbandes (Fis), Markus Waldner, blickte in einer Mannschaftsführersitzung nach der Abfahrt auf der gefährlichen Streif in Kitzbühel sorgenvoll in die Runde. “Mit dem Fersenbeinbruch des Österreichers Max Franz und mit dem Sturz von Alexander Köll (Schweden) hat es wieder zwei schwere Verletzungen gegeben.” Bei Franz brach das Fersenbein im Schuh ohne Sturzeinwirkung durch einen heftigen Schlag, den eine Bodenwelle auslöste. In Millisekunden wirken gewaltige Kräfte, die selbst bei trainierten Fahrern die Knochen bersten lassen. Tage zuvor hatte sich Kjetil Jansrud im Training auf der Streif zwei Handknochen gebrochen.

“So etwas passiert in fast jedem Rennen. Das ist einfach zu viel”, sagte Waldner und verwies auf eine neue Studie der Uni Oslo, die sich mit dem Skimaterial und Sicherheit auseinandersetzen wird und zum Jahresende vorliegen soll.

Denn Verbesserungsbedarf sieht er bei den Bindungen, die starr wie Schraubstöcke seien und für viele Knieverletzungen sorgen. Er bedauert, das offenbar aus Kostengründen elektronische Auslösesysteme, die bei Stürzen einige Verletzungen vermeiden könnten, bis heute nicht zur Marktreife gebracht wurden. Die gäbe es seit zehn Jahren. Doch sie kosten dreimal so viel wie die bisherigen Bindungen, rechnet der Alpindirektor des Deutschen Skiverbandes (DSV), Wolfgang Maier, vor. 

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