/Radverkehr: “Zum Glück bin ich nicht so schnell aus der Fassung zu bringen”

Radverkehr: “Zum Glück bin ich nicht so schnell aus der Fassung zu bringen”

Mehr Radwege, neue Stadträder und eine
millionenschwere Werbekampagne: 2019 will sich Hamburg der Vision einer
“Fahrradstadt” mit großen Schritten annähern. Doch der Weg ist noch weit, die
Zeit drängt. Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue soll den Umbau zügig
vorantreiben, für Verständnis werben und dabei möglichst weder Auto- noch
Radfahrer verprellen – keine leichte Aufgabe bei einem Thema, in dem so
viel emotionale Sprengkraft steckt. Was hat sie vor?

ZEIT ONLINE: Frau Pfaue, worüber ärgern Sie sich, wenn Sie mit dem
Rad durch Hamburg fahren?

Pfaue: Zum
Glück bin ich nicht so schnell aus der Fassung zu bringen. Aber ich ärgere mich
schon, wenn ich mal wieder nicht weiß, wo ich nun langfahren soll. Eine
verwirrende und unübersichtliche Radverkehrsführung kann schnell für alle
gefährlich werden. Ich erschrecke mich auch, wenn mich ein Auto eng überholt
oder mir plötzlich ein Radfahrer auf der falschen Seite schnell entgegenkommt.

Hamburgs Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue

Hamburgs Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue
© Christian Charisius/dpa

ZEIT ONLINE: Hamburg will “Fahrradstadt” werden – dieses Wort
polarisiert. War es falsch, das so prominent in den Koalitionsvertrag von 2015
zu schreiben?

Pfaue: Der
Senat wollte zeigen, dass die Radverkehrsförderung in Hamburg hohe Priorität
hat. Ob dieses Schlagwort glücklich gewählt ist, darüber lässt sich streiten.
Ich benutze es tatsächlich so gut wie nie, weil es völlig unterschiedliche
Bilder in den Köpfen erzeugt: Beim Einen löst es große Angst aus, beim Anderen
Hoffnung. Ist doch klar, dass man da nur noch aneinander vorbeireden kann.

ZEIT ONLINE: Welches Bild haben Sie im Kopf?

Pfaue: Ich denke an quirlige, lebendige Straßenräume, an eine
sichere Verkehrsführung, die allen Verkehrsteilnehmern genug Platz bietet. Ich
spüre förmlich den Wind in meinen Haaren und denke an weniger Lärm, bessere
Luft, weniger verstopfte Straßen. Aber mir schwebt kein Hamburg vor, in dem nur
noch Fahrräder fahren. Es gibt immer noch Autos, Busse, Bahnen und  Elektroroller und vielleicht fliegen bald
schon Drohnen – der Verkehr der Zukunft ist vielseitig.

ZEIT ONLINE: Für die “Fahrradstadt” soll das 280 Kilometer lange
Veloroutennetz ein zentraler Baustein sein – allerdings wissen viele Hamburger
nicht mal, wo die Routen verlaufen.

Pfaue: Stimmt,
das muss und wird sich ändern. Die Velorouten gehen meist durch  ruhige Nebenstraßen, die Beschilderung ist
oft veraltet und verwirrend. Noch in diesem Jahr startet die Ausschreibung für
eine neue Ausschilderung. Ab Mitte 2020 werden neue Schilder aufgestellt und
auf den Straßen weisen dann aufgemalte Piktogramme den Weg. Ein Vorbild ist für
mich Amsterdam. Dort sind die Straßenräume ähnlich eng, die Verkehrsführung ist
aber intuitiver.

ZEIT ONLINE: Und wie kommt der Ausbau voran? Bis 2020 soll das Netz
fertig sein.

Pfaue: Wir
arbeiten mit Hochdruck daran, den größten Teil fertigzustellen. Schaffen wir
das nicht, müssen wir Fördergelder des Bundes zurückzahlen, das wollen wir auf
keinen Fall. Allerdings ist es auch ein riesiges Projekt. Wir haben mehr als 250
Maßnahmen angeschoben, rund 25 Millionen Euro in den Ausbau des Netzes
investiert, 30 Planungsbüros sind daran beteiligt. Ab August wird der
Ballindamm umgebaut, Radfahrer bekommen dort bis zu 2,75 Meter breite
Radstreifen. Im Pergolenviertel, nördlich des Stadtparks, wird die neue
Velouroute 5 entstehen. Und in Altona, entlang der Veloroute 1, entsteht  eine ganze Kette von Fahrradstraßen.

ZEIT ONLINE: Es wird trotzdem knapp. 150 Kilometer sollen ausgebaut
werden. 2018 wurden 16 Kilometer fertig, im Jahr davor sieben. War das Ziel zu
ambitioniert?

Pfaue: Wir
werden auch nach 2020 weiterbauen. Hand aufs Herz: Ich hätte anfangs nicht
gedacht, wie viele Faktoren bei den Planungen bedacht und abgestimmt werden
müssen: Finden wir ein passendes Baufenster, gibt es eine Baufirma, deren
Auftragsbuch nicht schon voll ist? Auch Bürgerbeteiligungsverfahren sind
wichtig und notwendig, können Baumaßnahmen aber weiter verzögern. Der
Straßenraum ist heiß umkämpft – da wird oft diskutiert, gerungen und abgewogen.
Es sind viele Abstimmungen nötig. Nichts für schwache Nerven.

ZEIT ONLINE: Leser unseres Newsletters “Elbvertiefung” beschweren
sich darüber, dass Stadtbäume Fahrradstraßen weichen müssen.

Pfaue: Ja, viele Bürger wünschen sich zwar
mehr Radverkehr, doch wenn dafür ein Baum gefällt werden muss, kann der Protest
schnell groß werden. Wir müssen immer den Einzelfall betrachten: Was hat im
konkreten Fall  Priorität, der
Baumbestand oder eine nachhaltige Verkehrsplanung? Eine pauschale Lösung gibt
es nicht. Aber die Straßenräume in Hamburg sind eng, manchmal geht es nicht
anders. Und wenn Bäume gefällt werden, versuchen wir, das durch Nachpflanzungen
auszugleichen.

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