/Marion Gräfin Dönhoff: Wer darf hier schreiben?

Marion Gräfin Dönhoff: Wer darf hier schreiben?

“Im Vorraum der Macht”: Harmloser hätte die Überschrift von Carl Schmitts
Artikel
kaum sein können, der am 29. Juli 1954 auf Seite 3 der
ZEIT
erschien. Dass es
kein Aufsatz wie jeder andere war, machte ein kurzer Vorspann von “R.T.”, von Chefredakteur
Richard Tüngel, klar. Darin hieß es, der “große deutsche Staatsrechtslehrer” Carl Schmitt sei
in der Bundesrepublik eine umstrittene Erscheinung. Doch auch seine Gegner sollten zuhören,
denn er habe “scharfsinnig Durchdachtes und Einmaliges” zu sagen.

Die Leiterin des Politikressorts Marion Dönhoff hielt sich gerade bei ihrem Bruder Dieter in Irland auf, als sie davon erfuhr. Redaktionsintern hatte sie ausdrücklich deponiert, sie werde die
ZEIT
verlassen, wenn auch nur ein Artikel von Carl Schmitt im Blatt gedruckt werde. Jetzt war es so weit. Sie schrieb dem Verleger Gerd Bucerius einen markigen Brief und kehrte dem Hamburger Pressehaus den Rücken. So weit die Kurzfassung der Geschichte, die zum Mythos der
ZEIT
gehört und die tatsächlich weit mehr war als eine Episode. Schließlich ging es hier nicht nur um die Zukunft der noch jungen Wochenzeitung, sondern auch um die der Republik: Wie obrigkeitlich oder wie liberal würde sie sein?

Noch prägten nationalkonservative Töne die Debatten, Einheitsrhetorik und Antikommunismus gingen Hand in Hand, restaurative Tendenzen überdeckten häufig die Ansätze von Liberalität und Weltoffenheit. In den Zeitungshäusern spiegelte sich das wider, die
ZEITRedaktion bildete da keine Ausnahme: Links oder rechts, deutsch oder europäisch, demokratisch oder illiberal, die Fraktionen saßen scheinbar einträchtig nebeneinander.

In Wirklichkeit schwelte längst ein Konflikt. Bereits 1952 klagte Marion Dönhoff ihrem Schweizer Brieffreund, dem Historiker Carl Jacob Burckhardt, sie sei “nicht ganz im Reinen” mit ihrer Zeitung: “Vielleicht sollte man bald die Cabinett-Frage stellen.” 1953 schrieb sie ganz offen, dass der Einfluss der alten Nazis wachse: Ihr Chefredakteur Richard Tüngel werde zunehmend von Walter Petwaidic (der meist als Fredericia in der
ZEIT
publizierte
) indoktriniert, einem Verehrer Carl Schmitts.

Carl Schmitt kämpfte damals um ein Comeback: Er wollte sich reinwaschen von dem Vorwurf, Kronjurist und intellektueller Steigbügelhalter der NSDAP, ja ein Vordenker der nationalsozialistischen Ideologie gewesen zu sein. Denn im “Vorraum der Macht” hatte sich der Jurist einst selbst bewegt und über Einfluss auf das NS-Regime verfügt, auch wenn er nach einigen Jahren kaltgestellt wurde. War die versteckte Botschaft von Schmitts
ZEITArtikel, dass er der Macht zu nahe gekommen war?

Marion Dönhoff wusste, welche Rolle Schmitt im “Dritten Reich” gespielt hatte. Und es kann ihr nicht entgangen sein, wie sehr er sich bemühte, in der Bundesrepublik eine publizistische Plattform zu gewinnen. Schnell und entschlossen zog sie die Konsequenz, als Tüngel ihm diese Plattform gewährte.

Leicht fiel es ihr nicht. In einem Brief vom 7. September 1954, in dem sie ihrem Freund Burckhardt mitteilte, dass sie sich von der Zeitung getrennt habe, heißt es: “In einer Weise bin ich ganz erleichtert, auf der anderen Seite sage ich mir, daß ich eigentlich ganz schön gescheitert bin: acht Jahre der Aufgabe nachzujagen, die
aftermath
der Nazis zu beseitigen, und dann am Schluß, wenn sich die Alternative stellt, wollen wir Marion Dönhoff in der Redaktion oder
die Nazis im Blatt

haben, den Laufpaß zu bekommen.”

Eine erste Ahnung, etwas laufe in die falsche Richtung, muss Marion Dönhoff bereits 1949 beschlichen haben, als sie erlebte, wie Richard Tüngel fasziniert mit einem Fremden plauderte, der hinreißend jüdische Witze erzählen konnte. Instinktsicher warf sie Tüngel danach an den Kopf, er habe offensichtlich einen unheilbaren Nazi angeschleppt. Tatsächlich hatte der Unbekannte, wie sie bald erfuhr, für die Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes unter Joachim von Ribbentrop gearbeitet. Hindern konnte sie ihren Chefredakteur jedoch nicht, ihn als Redakteur anzustellen. Der Name des neuen Kollegen: Walter Petwaidic.

Schon bald tummelte der sich bei der
ZEIT
“im Vorraum der Macht”: Unter anderem regte Petwaidic seinen Mentor Tüngel zu Pilgerreisen nach Plettenberg im Sauerland an, wo Carl Schmitt vergangenen Zeiten nachtrauerte. Bereits am 4. Dezember 1952 hatte Richard Tüngel Schmitt in einem Leitartikel verteidigt. Schon damals legte Marion Dönhoff bei Tüngel Protest ein. Der erwiderte ungeniert, die Nazi-Jahre seien vorbei. Geradezu unmenschlich sei es, Denker wie Schmitt auf ewig zu diskriminieren.

Petwaidic war nicht der einzige Ex-Nazi, der in den Fünfzigerjahren für die
ZEIT
schrieb: Als P. C. Holm durfte der ehemalige Leiter der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes und SS-Obersturmbannführer Paul Karl Schmidt im Blatt publizieren; unter dem Pseudonym Paul Carrell verfasste er später

apologetische Kriegsbücher, die zu Bestsellern wurden. Und dann war da noch Erwin Ettel, einst SS-Brigadeführer. Von 1950 an schrieb er für die
ZEIT
sechs Jahre lang unter dem Decknamen Ernst Krüger Dutzende Artikel, wobei er das Wort “Kriegsverbrecher” grundsätzlich in Anführungszeichen setzte.

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