/“Rafiki”: Lebensgefährliche Liebe

“Rafiki”: Lebensgefährliche Liebe

Zwei junge Menschen aus
verfeindeten, rivalisierenden Familien verlieben sich ineinander, verstoßen mit
ihrer Beziehung gegen Konventionen und provozieren damit einen gewaltvollen
Konflikt. Der Film Rafiki spielt jedoch nicht wie die klassischste aller Liebesgeschichten in Verona, sondern in Nairobi. Und es kommt auch kein Romeo vor – es ist die Liebesgeschichte zweier Frauen.

Damit bringt die 38-jährige Wanuri Kahiu ein großes Tabuthema ihrer Heimat Kenia auf die Leinwand. Bezeichnend ist dafür schon der Filmtitel: Das Wort Rafiki ist Suaheli und bedeutet “Freund(in)”. Es wird in Kenia für einen
gleichgeschlechtlichen Partner verwendet, da es kaum möglich ist, diesen als
Partner vorzustellen. Die Geschichte der beiden Liebenden hat Kahiu der Kurzgeschichte Jambula Tree der ugandischen Schriftstellerin Monica Arac de Nyeko entlehnt.

Vor allem mit der Ausgestaltung der Hauptdarstellerin Kena
(Samantha Mugatsia) wird die Geschlechterrolle der Frau hinterfragt. Die Schülerin trägt lieber Hosen,
kurze Haare und Cappy, sie spielt mit den Jungs Fußball, fährt Skateboard und entspricht mit ihrem burschikosen Auftritt so gar
nicht dem Bild, das auch in Kenia noch gerne als typisch für ein Mädchen gehalten wird. Kena ist auch nicht an einer
Beziehung mit ihrem besten Freund Blacksta interessiert – selbst wenn der behauptet,
eine gute Partie für sie zu sein. Kena ist cool, ruhig und verständnisvoll. Besonders
gegenüber ihrer trauernden Mutter, mit der sie allein wohnt, weil ihr Vater die Familie
für eine jüngere Frau verlassen hat. Die Trennung belastet auch das Verhältnis zwischen Kena
und ihrem Vater John, in dessen Lebensmittelkiosk sie neben der Schule aushilft. Dennoch hält die Schülerin im Wahlkampf um ein politisches Amt zu
ihrem Vater.

Warum Krankenschwester und nicht Ärztin?

Zum Konflikt kommt es, als sich Kena in Ziki (Sheila Munyiva)
verliebt, die Tochter eines politischen Rivalen des Vaters. Die Frauen lernen sich zunächst vorsichtig, zögerlich kennen. Zu augenfällig sind die Gegensätze: Ziki trägt lange, bunte Zöpfe und Kleider. Sie tanzt und
lacht häufig, sprüht vor Charme und Neugier. Sie finden zueinander und rasch wird deutlich, dass ihre Zuneigung
auf mehr als nur glühender Leidenschaft beruht. Sie glauben aneinander, helfen sich, persönliche
Grenzen zu überwinden, und gewinnen dadurch an Selbstbewusstsein. “Warum solltest
du Krankenschwester werden, wenn du auch Ärztin sein kannst”, hinterfragt
Ziki einmal Kenas Berufsplanung. Abseits der frauenfeindlich-homophoben
Gesellschaft um sie herum, gelingt es den jungen Frauen, sich eine echte Freundschaft aufzubauen. Um
dieses Echte abzubilden, habe sie auch “Momente unangenehmer
Stille zugelassen, die Blicke gehalten, Dialoge und fließende
Bewegungen zwischen Kena und Ziki improvisiert”, sagt die Regisseurin über ihren Film.

Es ist vor allem
Kenas Sichtweise, die dem Zuschauer vermittelt wird, indem
die Kamera ihre Perspektive einnimmt. Wenn Kena auf dem Roller
von Blacksta mitfährt, schaut die Kamera wie sie auf die vorbeiziehende Landschaft,
in den Himmel, zu Ziki. Dabei scheint es, als tauche Kenas Verliebtheit
buchstäblich alles in Rosa. Keine Farbe ist dominanter im Film: die bröckelnden
Häuserfassaden Nairobis, der Himmel, Zikis Haare. Kahuis Kenia entspricht keinesfalls einem Negativklischee Afrikas. Das ist ein weiteres Anliegen der Filmemacherin. Mit ihrer
Produktionsgesellschaft Afrobubblegum setzt sie sich für die Darstellung der positiven Seiten
des Kontinents ein, wofür in ihren Augen die neue Bewegung des Afrofuturismus steht. Auch der Soundtrack des Films von den kenianischen
Musikerinnen Muthoni Drummer Queen und Chemutai Sage ist so zu verstehen: energiegeladen, rhythmusbestimmend. Einzelne Shots folgen ganz bewusst allein der Musik, wenn Kena und Ziki auf den Rummel gehen oder neonfarbig bemalt im Club tanzen. Wenn sich die beiden schließlich heimlich in
einem versteckten Wohnwagen Kenas treffen und küssen, scheint ihre Liebe kurz tatsächlich möglich. Dann entdeckt ein wütender Mob den Wagen.

Man muss nicht lesbisch, weiblich oder aus Afrika
sein, um zu verstehen, wie ungerecht das ist. Für homosexuelle Männer ist die Diskriminierung sogar in der Rechtsprechung verankert. Mit bis zu 14 Jahren Haft können sie für ihre Liebe bestraft werden. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, welche
Herausforderung die Realisierung des Films für alle Mitwirkenden war.
Im Nachbarland Uganda kam der homosexuelle LGBT-Aktivist David Kato 2011 während
seiner Dreharbeiten für den Film Call Me Kuchu durch ein Hate-Crime ums
Leben. Ohne internationale Gelder und eine internationale Crew hätte Rafiki in
dieser Form wohl gar nicht erst gedreht werden können. Auch die Vorführung
des fertigen Films wurde in Kenia zunächst verboten, da er laut des Leiters der
Filmklassifizierungsbehörde “Homosexualität zu legitimieren und zu
normalisieren” versuche. Trotzdem schaffte es Rafiki als erster kenianischer Film
in die offizielle Auswahl der Filmfestspiele von Cannes. Und da ein Film im eigenen Land gezeigt worden
sein muss, damit er für die Oscars nominiert werden kann, reichte die
Regisseurin später Klage gegen das Verbot der Filmaufsichtsbehörde ein. Mit
zumindest einem kleinen Erfolg: Für Rafiki wurde eine Ausnahmeregelung getroffen, aufgrund derer das Drama eine Woche lang in einem Kino in Nairobi zu sehen war.

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