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R. Kelly: Missbrauch und Pop

Minderjährige Mädchen und junge Frauen soll der US-Sänger R. Kelly gefügig
gemacht, vergewaltigt, gefangen gehalten haben, und das über Jahrzehnte hinweg. Das Heikle an
den Vorwürfen: Kein Gericht der Welt konnte sie bislang in eine Verurteilung verwandeln. Wegen
Schweigegeldzahlungen an mutmaßliche Opfer, sind sich seine Kritiker einig. Weil er eben
unschuldig ist, sagen hingegen seine Fans. Da der ehemalige Weltstar jüngst angekündigt hat,
im April für zwei Konzerte nach Hamburg und Ludwigsburg zu kommen, erreicht die Kontroverse
nun auch Deutschland. Über 35.000 Menschen fordern bereits in einer Petition:
“Sexualverbrechen keine Bühne geben”.

Rückenwind erhalten die Proteste durch die sechsteilige TV-Dokumentation
Surviving R. Kelly,
die vor drei Wochen in den USA ausgestrahlt wurde. Stundenlang lässt sie ehemalige Bekannte des heute 52-jährigen R. Kelly erzählen, wie er sie gezielt von ihrem Umfeld isoliert und von ihnen verlangt habe, ihn “Daddy” zu nennen und nur noch dann zu essen, die Toilette aufzusuchen und zu reden, wenn er es erlaube. Fügten sie sich nicht, soll er seine Opfer bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben und geschlagen und vergewaltigt sowieso. Die Doku lässt auch Eltern zu Wort kommen, die ihre Kinder, zu willfährigen Sklavinnen geformt, bis heute in der Gewalt des Musikers wähnen. Und so jemand, fragen die Unterzeichner der Petition, soll jetzt in Deutschland auftreten dürfen, als sei nichts dabei?

Indes: Waren nicht viele Künstler, so heißt es ja oft, große Genies und im Privatleben verbrecherische Widerlinge, man denke etwa an Pablo Picasso oder Klaus Kinski? Bei R. Kelly, dessen Lieder vor aggressiven, sexuellen Anspielungen triefen, stellt sich diese Frage nach der Trennung zwischen Künstler und Werk noch einmal anders, rühmt er sich doch damit, der
Pied Piper
des R ’n’ B zu sein, also ein Rattenfänger, der Kinder mit Musik verführt.

Neu sind die Vorwürfe gegen Kelly nicht. Bereits 1994 kursierte, dass er mit der damals 15-jährigen Sängerin Aaliyah verheiratet war. Ihr Debütalbum, von Kelly produziert, nannte er damals vielsagend
Age Ain’t Nothing but a Number.
Geschadet hat es seiner Karriere nicht: Sein 1998 veröffentlichtes
I Believe I Can Fly
gehört bis heute zu den beliebtesten Liedern bei Hochzeiten und Gospelmessen.

Auch nachdem Kelly Anfang der 2000er verhaftet wurde wegen eines Videos, auf dem zu sehen sein soll, wie er beim Sex auf eine 14-Jährige uriniert, landete er noch jahrelang Hit um Hit. Eine Jury sprach ihn nach einem verschleppten Prozess frei, weil das Mädchen aus dem Video nicht vor Gericht aussagen wollte. Auch damit begründen seine Kritiker, warum man seine Konzerte verhindern müsse: Kelly werde mit seinen Übergriffen nicht aufhören, solange er sich unantastbar fühle. Dass der Druck auf Kelly ausgerechnet jetzt zunimmt, dürfte auch daran liegen, dass seine letzten Alben floppten und er seinen Nimbus als Megastar weitgehend verloren hat.

Als Vorbild der deutschen Petition dienen schwarze Feministinnen, die in den USA seit Jahren vor Kellys Konzertlocations mit der Parole “Black Girls’ Lives Matters” demonstrieren. Und in der Tat scheint die Hautfarbe in der Debatte um Kelly eine Rolle zu spielen, in doppelter Hinsicht. Einerseits, weil er seit den Neunzigern als Vorbild gilt dafür, dass Schwarzen aus der Sozialbausiedlung auch eine andere Karriere offensteht als die des Dealers. “Wir können es uns nicht leisten, ihn zu verlieren”, auch wenn er schuldig sei, sagt eine Protagonistin in der Dokumentation – ein Standpunkt, der unter vielen Schwarzen lange Zeit als Konsens galt.

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